Der Kölner Karneval ist die fünfte Jahreszeit, zusätzlich zu den vier schon bekannten. Er beginnt sechs Wochen vor Ostern und lockt mit seiner Ausgelassenheit jährlich etwa eine Million Touristen an.

Wir nahmen aktiv an dieser sprudelnden Heiterkeit teil. Dieses Jahr begann das Festival am 11. Februar. Eben an diesem Tag war unser Seminar zu Ende und wir kehrten nach Hause zurück. Man warnte uns vor den Straßenumzügen, aber trotzdem erwarteten wir nicht die Menschen in Faschingskostümen schon zu sehen, wenn wir nur zur Tür der Jugendakademie hinausgingen. In aller Früh bummelten Aladin, Rotkäppchen und Marienkäfer durch Walberbergers Straßen. Noch auffallender war eine U-Bahn-Station: Geschäftsleute mit Aktentaschen, Schüler und Studenten schienen in Vergessenheit geraten zu sein. Statt ihrer drängten sich Hexen, Frösche, Spinnen, Prostituierte und Nixen auf dem Bahnsteig. Sie stiegen alle ein und man konnte uns, einfache Menschen, kaum bemerken. Aus einer bunten und (ungeachtet der Frühe)schon ziemlich besoffenen Menge sprangen ab und zu die Flügel des Engels, der Schwanz des Leoparden und der Schopf von Elvis Presley. Ein alter Seemann, eher eine Wasserratte, mit der Tabakpfeife im Mund, half uns Geld aus einem „hartnäckigen“ Fahrkartenautomat zurückzubekommen. Eine vergnügte Gesellschaft von Jungen und Mädchen in Operationskitteln, mit Stethoskopen um den Hals und Spielzeug-Skalpellen in den Händen, konnte sich so lange nicht entscheiden auszusteigen, dass sie, als sie in einer Station heraussprang, im Wagen einen ihrer Freunde vergaß.

Inzwischen wollte unser Staunen kein Ende nehmen, dass man in Köln keinen Menschen ohne Faschingskostüm sehen konnte. Stewardessen, Panzersoldaten, Indianer, Chinesen, Piraten und Zwerge, Karlssons, rosa Häschen und Teddybärchen, Marylin Monroe und Freddy Krüger…Nicht weit vom Hauptbahnhof schlugen Straßenverkäufer den neu angekommenen und nicht vorbereiteten Touristen Perücken und Masken vor. Überall grellte Musik, zu den Füßen lagen Flaschen und Konfetti, irgendwo raufte man sich schon, um die Ecke erbrach sich ein betrunkener Pinocchio.

Irgendwann erschrak ich: eine lustige und angemalte Menge folgte einem dunkelhäutigen Buben, der tänzelte und seine Flöte spielte, er intonierte die Hymne des Festivals; das Gedränge ging auf einmal in meine Richtung! Ich wurde nicht erdrückt, aber davon überzeugt, dass Deutsche jedem nachfolgen, der ihnen eine gute Musik und einen Slogan vorschlägt…

Aber das war so lustig, übermütig und keck, ich bedauerte sogar, dass es keine solche Tradition in Russland gibt, um sich von den Alltagsproblemen ablenken zu lassen, eine Maske anzuziehen und eine andere Rolle zu spielen oder, wahrscheinlich, man selbst zu werden…

Apropos: vor dem Fasching haben wir uns auch hübsch verkleidet. In der Jugendakademie hat man für uns eine Abschiedsparty vorbereitet, die ein Kostümfest war. In Walberberg fand man einen Kostümverleih: Kleider, Jacken, Hüte, Krawatten, Modeschmuck und Schuhe. Solch einen Schatz habe ich sogar in der Künstlergarderobe des Fernsehzentrums in Ufa kaum gesehen. Meine Aufmerksamkeit zogen große, weiße Flügel, wie von einem Engel, auf sich.

Nach einer halben Stunde der einfachen Verwandlung erschien ein weißer Engel in der Akademie. Manche waren starr vor Staunen: Julia, die zehn Tage lang eine Hose oder Jeans anhatte, trug ein langes Kleid, das einer antiken Tunika ähnlich war. Der Engel hatte einige Aufgaben: Freunde zu amüsieren, seinen Segen zu Heldentaten den Jungen zu geben, die sich als Soldaten oder sowjetische Offiziere verkleidet hatten, einen traurigen Maler zu begeistern und den Kurator Philipp tanzen zu lehren. Und der hat einige moderne Tänze trotz seines Widerstands gelernt. Und erfolgreich. Das übrigens zeigte er am nächsten Morgen.

Ich schlief ohne Kostüm ein, aber noch lang konnte ich das Gefühl nicht loswerden, dass ich immer noch große weiße Flügel auf meinem Rücken habe. Aber dank allen Tugenden, die ich an diesem Abend geübt hatte, können sie jetzt wohl wachsen…

Nota Bene: die Geschichte des Faschings ist genauso alt wie die Geschichte Kölns. Aber so zu feiern, wie man heute feiert, fing man etwa vor 180 Jahren an. Die Session des Karnevals beginnt am Elften im Elften um Elf Uhr Elf, ab diesem Zeitpunkt bummeln die Menschen in Kostümen durch die Stadt, überall in der Stadt veranstaltet man die sogenannten Karnevalssitzungen. Einige Tage vor dem Höhepunkt findet Weiberfastnacht statt. Bereits am frühen Morgen ziehen Frauen in Faschingskostümen auf die Straßen, zuerst gehen sie zur Arbeit und um 10 kommen alle auf dem Platz „Alter Markt“ zusammen. Um Elf Uhr Elf stürmen die vielen Frauen das Rathaus Kölns und eröffnen damit den Straßenkarneval. An diesem Tag empfiehlt man allen Männern die Krawatten der teuren Marken gegen irgendwelche billigeren zu tauschen, weil die mit Scheren ausgerüsteten Frauen die Krawatten jedes erstbesten Mannes abschneiden. Jeder Widerstand ist nutzlos, ein Brauch ist doch ein Brauch.

Was den ersten offiziellen Karnevalstag Rosenmontag betrifft, so findet der Volksjubel an diesem Tag seinen Höhepunkt. Einer Meinung nach stammt der Name dieses Tags nicht von der Blume Rose, sondern vom deutschen „rasender Montag“, was bedeutet „ein verrückter Montag“. Der Karneval endet mit der Verbrennung einer Puppe, dann kommt Aschermittwoch, der erste Tag des Großen Fastens.

Julia Baydzhanova, Sofya Kovalenko, März 2010