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Die Baschkiren – eine türkischstämmige Nation

Die Baschkiren (Башҡoрттap/Başqorttar) 1 sind wahrscheinlich um 780 am oberen Irtysch aus einem Sippen- (Gens-/Clan-) Verband im Umfeld der Kimäken-Kyptschaken 2 hervorgegangen. Mit den Kyptschaken sind sie westwärts expandiert – die Baschkiren jedoch nur bis zur Wolga (baschk.: Иҙел/İđel) bei Samara, bis zum Yayıq (Яйыҡ = Ural-Fluß) und zum Oberlauf des Emba-Flusses im heutigen Westkasachstan. Die Migrationsbewegung der Baschkiren war jedoch bei weitem nicht so weiträumig wie die vieler anderer türkischer Völker.

Der obere Irtysch liegt im Gebiet der Ethnogenese der Türken. Im 4./5. Jahrhundert reichte das „Türkenland“ im Norden bis zum mittleren Jenissej unterhalb von Qızılyar (altes türk. Toponym = „Rotes Steilufer“; übersetzt ins Russische: Krasnojarsk), im Osten umschloß es die Südhälfte des Baikal, im Westen den Oberlauf des Ob und im Süden die Westhäfte der heutigen (Äußeren) Mongolei sowie die zu China gehörende Dsungarei und den Nordosten des heutigen Kasachstan. Im Zentrum liegt das Altai-Gebirge mit dem Ötükän (Ötüken), dem „heiligen Berg der Erdgöttin“ im (heute) mongolischen Altai, dessen Besitz bei den vorislamischen Türken mit der spirituellen Autorität verbunden war, Herrscher über alle türkischen Stämme zu sein. Von diesem Gebiet aus migrierten die Türken in alle Richtungen; die nordöstlichste Spitze erreichte das heutige Jakutien (Sacha), die südwestlichste Spitze um 1050 die heutige Türkei. Zur Triebkraft der türkischen Expansion zitiert Zäki Wälidi den Hofbeamten der Seldschuken, Šaraf al-Marwazī, der um 1100 lapidar bemerkte: „Sie haben ihre Länder wegen der Enge der Weideplätze verlassen.“ 3

Zäki Wälidi, vollständiger baschkirischer Name: Вәлиди Әхмәтзәки Әхмәтшаh улы/Wälidi Äxmätzäki Äxmätşah ulı, oder: Әхмәтзәки Вәлиди Туған/Äxmätzäki Wälidi Tuğan (russisch: Валидов Ахмет-Заки Тоган/Validov Achmet-Zaki Togan; türkeitürkisch und deutsch: Ahmet Zeki Velidi Togan), *1890 in Көҙән/Köźän (Rayon Ишембай/ İşembay bei Стәрлетамаҡ/Stärletamaq), war der bedeutendste baschkirische Orientalist und Turkologe, der sich zeitlebends als Baschkir-Türke verstand. 1919 handelte er mit den Bolschewiki die Gründung der Baschkirischen ASSR im Rahmen der RSFSR aus. In einer Bibliothek in Mašhad (Persien) entdeckte er 1925 das arabisch verfaßte Original des Reiseberichts von Ibn Faḍlān aus dem Jahre 922, in dem auch die Baschkiren genannt sind und worüber er in Wien seine Dissertation schrieb („Ibn-Fadlan’s Reiseberichte. Seine Berichte über Erlebnisse der arabischen Gesandtschaft im Lande der Oguzen, Pečenegen, Baschkiren und Bulgaren. Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes“). Von 1939 bis zu seinem Tod 1970 wirkte Zäki Wälidi als Professor in der Türkei. In der Sowjetunion lange Zeit eine Unperson, ist er im offiziellen Başqortostan heute wieder wohlgelitten. Seit 1993 gibt es in Öfö (Ufa) und Köźän ein Äxmätzäki-Wälidi-Museum; eine repräsentative Straße in Öfö (Ufa), die „Зәки Вәлиди урамы/Zäki Wälidi uramı“, trägt seinen Namen. Begraben ist er in Istanbul.

Die Baschkiren standen immer in enger Verbindung mit den Kyptschaken und sind „ethnisch“ selbst Kyptschaken. Einer ihrer sieben Hauptstämme (eтe ыpыy/yete ıruw) heißt ebenfalls Qıpsaq (Ҡыпсаҡ = die baschk. Form von Qıpçaq/Kyptschak), und auch ihre Sprache ist kypschaktürkisch. Die Baschkirische Enzyklopädie hält eine „offizielle“ Mitgliedschaft für gesichert 4, obwohl um 1200 die Baschkiren unter den zwölf Stämmen der Kyptschaken-Konföderation nicht aufgeführt sind. Auch oghusische (Petschenegen, Turkmenen), proto- und wolgabulgarische sowie ugrische und iranische (Sarmaten, Alanen) Elemente sind in den Baschkiren aufgegangen, mongolische jedoch kaum. (Der baschk. Stammesname Юрматы/Yurmatı könnte auf die nordiranischen Sarmaten zurückgehen.) In welchem Verhältnis auch immer die Baschkiren zur Kyptschaken-Konföderation standen, sie blieben stets ein weitgehend eigenständiger Stammesverband. Bemerkenswert ist ihre relativ stabile Siedlungskontinuität, die wohl die Ursache dafür ist,

„dass ihre ethnische Individualität unter den übrigen Bruderstämmen sich am längsten erhalten hat, und dass sie ungleich den Bulgaren, Khazaren, Petschenegen, Uzen [= Oghusen] und Kumanen [= Kyptschaken/Polowzer] trotz aller politischen Umwälzungen, denen sie ausgesetzt waren, immer Baschkiren geblieben sind.“ 5

So verbleibt mit den Baschkiren tatsächlich das einzige größere moderne türkische Volk, das seit Beginn seiner historisch nachweisbaren Existenz im 9. Jahrhundert diesen Namen trägt und bis heute seine Identität bewahrt hat. Zum Verhältnis der Baschkiren mit den anderen Türken bemerkt Baškirskij mëd (russ. für „Başqort balı“ bzw. „Baschkirischer Honig“), Portal für die Geschichte der Baschkiren und Başqortostans:

„Sie standen in enger Berührung zu den Petschenegen (oder Patzinakoi [= griechisch: „Petschenegen“]) und den Ġuzz [= arabisch: „Oghusen“] in Kasachstan und den Steppen Mittelasiens, seit der Mitte des ersten Jahrtausends mit den bulgarischen Stämmen und zu Beginn des zweiten Jahrtausends – mit den Kyptschaken. Eine maßgebliche Prägung hinterließen die Beziehungen zwischen Baschkiren und Kyptschaken, die während der Invasion von Mongolen und Tataren und später bis zum Anschluß Başqortostans an Rußland andauerten. Die Ähnlichkeit zwischen der baschkirischen Sprache und dem kyptschakischen Sprachzweig (Altai’isch, Kasachisch, Karakalpakisch, Noghai’isch, Tatarisch und einigen Dialekten der usbekischen Sprache), die Ähnlichkeit bei Stammesnamen und Tamgas, bei Kultur und Folklore sind das Resultat dieser Beziehungen.“ 6

Gemäß Volksetymologie geht das Ethnonym „BAŞQORT“ auf „baş“ (= „Haupt/Kopf“) und „qort“ (= „Wolf“) zurück.7 Zäki Wälidi hält dagegen „baş“ für bäş/beş/biş („5“) und „qort“ für die ŞAZ-türkischen Entsprechungen von LIR-türkisch bil/bil/bol + [o]ğur, so daß sowohl < BAŞ-QORT > als auch < BOL-ĞAR > „Fünf Oghur[enstämme]“ bedeute.8 Da OĞUR/UYĞUR/OĞUZ im 5./6. Jahrhundert Synonyme für TÜRÜK/TÜRK waren (bevor sie Namen von türkischen Einzelstämmen wurden), könnte mit „BAŞQORT/BOLĞAR“ also „Fünf Türk[enstämme]“ gemeint gewesen sein. Zwar ist auch diese Etymologie strittig; aus der Nachbarschaft zu den ugrischen Chanten und Mansen und den ugrischen Magyaren (Ungarn), als letztere sich in der „Magna Hungaria“ (dem Gebiet zwischen unterem Dnjepr und unterem Dnjestr) westlich der Baschkiren aufhielten, aber zu schließen, die Baschkiren seien türkisierte Ugrier bzw. mit den Magyaren (Ungarn) verwandt, ist doch sehr gewagt. Nach einer anderen Ansicht setze sich der Name der Baschkiren zusammen aus „baş“ und „qır“ (= „Haupt“ und „Feld“) und bedeute „Steppenhäuptling“ (дала башлығы/dala başlığı). Das könnte zumindest die entstellte Form „BASCHKIRE“ („БAШKИP“) erklären, wo der typisch türkische < ы > / < ı > – Laut [ɯ/ɨ ] durch < и >/< i > [ ɪ ] ersetzt ist und das auslautende < t > fehlt. Auch dies ist jedoch reine Mutmaßung.

Andererseits galten und gelten auch die Baschkiren unter Laien als „Tataren“, und noch immer haben die Baschkiren Probleme, desinteressierten Massenmedien im Rest der Welt sich selbst und ihren Unterschied zu den Kasaner „Neu-Tataren” zur Kenntnis zu bringen.9 In der Allgemeinen Deutschen Realencyklopädie von 1836 werden zu den „einzelnen tatarischen Stämmen (…) im russischen Reiche“ auch „die Baschkiren oder Boschkurt“ gezählt, und der Ethnograph Juferov [M. Youferov, „Études ethnographiques sur les Bachkirs“, Paris 1881] begründete dies damit, daß „der Baschkire“ den „übrigen [sic!] Tataren sehr ähnlich“ sei.

Seit 1200 Jahren auf der Bühne der Geschichte

Dokumentiert sind die Baschkiren in arabischen Quellen seit 840. Man kann „constatiren, dass die allererste geschichtliche Erwähnung die Baschkiren als Türken bezeichnet“ und „dass wir es mit einem seinem Physikum nach türkischen Volke zu thun haben (…)“.10 Aḥmad ibn Faḍlān, der moslemische Wolgabulgaren-Missionar, nennt sie in seinem Reisebericht (baschk.: Ибн Фаҙландың юл яҙмалары/cәйәxәт нaмәhe; İbn Fađlandıñ yul yaźmaları/säyäxät namähe) von 922 an den Chalifen von Baġdād „ein Türkenvolk, das Bašġïrd (bašġrd) genannt wird“, und er zählt sie zu den „schlimmsten und tapfersten der Türken“ – 130 Jahre bevor der erste Türke seinen Fuß auf den Boden des nachmals „Türkei“ genannten Kleinasiens setzte. Auch im 1074 in Baġdād erschienenen arabisch-türkischen Kompendium „Diwān Lughāt at-Turk“ (Sammlung der Dialekte der Türken) des Mahmūd al-Qāšgārī (Mahmūd aus Kaschgar im heutigen Uyğuristan/China), der ersten Gesamtdarstellung über die Türken, werden in der Liste der türkischen Stämme die Baschkiren aufgeführt.

Die türkische (turanide) Ethnizität ist übrigens bei den Baschkiren (wie auch bei den anderen Türken Rußlands, Mittelasiens und Chinas) wesentlich ausgeprägter als bei den Türkeitürken. Als unter den Seldschuken und Osmanen die oghusischen Türken im 11./12. Jahrhundert in Kleinasien eindrangen, stellten sie nach Abschluß der Invasionswellen etwa 10% der Gesamtbevölkerung und gingen im Laufe der Zeit in der vortürkischen Bevölkerung auf. Bei den Türkeitürken handelt es sich hauptsächlich um türkisierte und islamisierte Griechen, Armenier, Kurden und Kaukasier. Türkisch sind an der Türkei lediglich die von der eingewanderten türkischen Minderheit aus Zentralasien importierte Sprache und der seit 1923 offizielle Landesname.

Seit etwa 800 hatten sich die Weidegründe der Baschkiren vom mittleren Irtysch (russ.: Иртыш/ Irtyš; kasach.: Ертіс/Yertis; baschk.: Иртеш/İrteş) im Osten, bis zur Wolga bei Samara (baschk.: Һамар/Hamar) und zum Großen Tscheremschan-Fluß (baschk.: Оло Сәрмәсән/Olo Särmäsän; „tatarisch“: Олы Чирмeшән/Olı Çirmeşän; russ.: Большой Черемшан/Bol’šoj Čeremšan) im Westen und bis zum Yayıq (Ural-Fluß) und zur Emba im Süden erstreckt. Am Yayıq im heutigen Westkasachstan, etwa 40-50 km östlich der späteren Stadt Oral (russisch: Уральск/Ural’sk), hatte Ibn Faḍlān sie 922 angetroffen.

Die Baschkiren unter mongolischer Oberherrschaft

1219 requirierten mongolische Truppen die Sommerweiden der Baschkiren am linken Ufer des Irtysch beim heutigen Omsk (baschk.: Умбы/Umbı], und den Enkeln Dshinggiz Chans und Brüdern Batu-Chans 11, Şaybani-Chan und Orda-Chan, wurde alles baschkirische (und chantische und mansische) Land zwischen Irtysch und Ural zugesprochen. Die Baschkiren mußten daraufhin einen 14 Jahre währenden Kleinkrieg (Guerrilla) gegen die Mongolen um Ihre Weidegründe führen. Ein wolgabulgarisch-baschkirisch-mordwinisches Koalitionsheer unter Führung des Bulgaren-Chans Ğabdulla Çelbir konnte 1223 am Wolgaknie in der Nähe der heutigen Stadt Togliatti (Тольятти) sogar ein mongolisches Détachement, das sich nach der Schlacht an der Kalka (Kalmius) auf dem Rückzug befand, in einen Hinterhalt locken und vernichtend schlagen. Diese Niederlage der Mongolen blieb jedoch Episode, ein Widerstand schien auf Dauer aussichtslos. Die Baschkiren sahen sich deshalb 1241 gezwungen, mit den Mongolen einen „Freundschafts- und Bündnispakt“ abzuschließen, der den baschkirischen Chanen anfangs eine privilegierte Stellung bei den Mongolen verschaffte.

„Die ehedem ausschliesslich nomadische Existenz der Baschkiren (ist) durch den Umstand erwiesen, dass sie beim Erscheinen der Mongolen sich eng an die beutelustigen Scharen Dschengiz Chan’s anschlossen, denselben wesentliche Dienste leisteten, ungleich den Bulgaren, die, als ein Ackerbau und Handel treibendes Volk, den Eindringlingen aus dem fernen Osten den grössten Widerstand entgegenbrachten und, hierfür hart bestraft, ihre staatliche und nationale Existenz einbüssen mussten; während andererseits die Baschkiren von Batu ausgezeichnet wurden und die übliche Tamga (Siegel) und Tug (Fahne), d.h. die Embleme der nationalen Selbständigkeit, erhielten.“ 12

Die Allianz der baschkirischen Chane mit der Goldenen Horde zahlte sich nur ein Mal aus, als dem Chan Tuqtay (reg. die Goldene Horde von 1291 – 1312) der bei Türken und Mongolen legendäre Noğay-Emir als wichtigster Vasall zu eigenmächtig wurde und deshalb 1299 ermordet wurde. Tuqtay löste dessen Ulus (= Apanagen-Domäne) auf und verteilte die Militärabteilungen auf das Chanat, wobei die baschkirische Steppenaristokratie ein Stück vom Kuchen abbekam. Neben den Karakalpaken und der zwischen Irtysch und Aralsee nomadisierenden Qazaq-Orda (den späteren Usbeken/Kasachen) wurden daher auch die Baschkiren eine Zeitlang mit dem Eponym „Noghaier“ (Noğaylar; baschk.: Нуғайҙар/Nuğayźar) versehen, und noch im 19. Jahrhundert nannte man in „in Stambul und in Bochara den Kazaner [Казанлы/ Qazanlı] und den Ufaer [Өфөлө/Öfölö = Baschkiren] einen Noghaier“ (Vámbéry). Die Steppenaristoratie der Baschkiren bezeichnete sich während der Herrschaft der Noghai-Horde dagegen als „Usbeken“ (Үзбәктәр/Üzbäktär).13

Daß die Noghaier ihrerseits (und mit ihnen die Baschkiren) „Karatataren“ (Schwarze Tataren) oder „Noghai-Tataren“ genannt wurden, zeigt die Haltlosigkeit der modernen Bezeichnung „Tataren“. Sowohl die Kasan-„Tataren“, jenes aus türkischen Wolgabulgaren und einigen „gemeinhin qypčakisch genannten und sonstigen türkischen Volkssplittern“ (B. Spuler) entstandene „Neuvolk“, als auch das „Altvolk“ der Baschkiren sind schlicht das, was sie schon vor der Mongolenzeit waren: von „türkischem Gepräge“ bzw. „Fractionen des Türkenvolkes“ (H. Vámbéry).

Die Baschkiren und die Russen

Der Anschluß der Baschkiren an die Goldene Horde war den historischen Umständen geschuldet, ebenso die Herrschaft der Nachfolgechanate Kasan, Astrachan und Sibir sowie der Noghai-Horde über die Baschkiren in Form der „даруғалар/daruğalar“ genannten Steuerbezirke. Das Chanat Sibir (1450-1598), Razzien der mongolischen Oiraten (Kalmyken/Dsungaren) und der Druck der Kasachen, die ihrerseits von den Oiraten westwärts gedrängt wurden, hatte das Siedlungs- und Weidegebiet der Baschkiren schon erheblich eingeschränkt. Dies bewog 1554/57 einige baschkirische Chane, den „Selbstherrscher aller Reußen“, Iwan den Schrecklichen (Ivan Groznyj), um Schutz zu ersuchen, nachdem die Nachfolgechanate der Goldenen Horde 1552 – 1598 von den Russen ausgelöscht worden waren. Die Baschkiren hatten ein Bündnis auf Augenhöhe erwartet; stattdessen wurden sie nach und nach vom Großfürstentum Moskau bzw. dem entstehenden gesamtrussischen Staat annektiert.

Ab 1700 errichtete der Zarismus einen Festungs- und Siedlungscordon zwischen den Baschkiren und den Kasachen, in dem die Yayıq- (Jaïk-)/Ural-Kosaken, wenig später auch Stadtbevölkerung (Großrussen, Ukrainer, Weißrussen) sowie Polen und Deutsche angesiedelt wurden. Diese auch „Orenburger Korridor“ genannte Schneise, die den heutigen Oblasti Orenburg und Силәбе/ Siläbe (russifiziert: Челябинск/Čeljabinsk/Tscheljabinsk) entspricht, trennt seither die Baschkiren von ihren kasachischen Nachbarn.

Im antifeudalen Bauernkrieg von 1773-1775 unter Führung des Don-Kosaken Pugačëv (Пугачёв) waren die Baschkiren allerdings enge Verbündete der Yayıq-/Ural-Kosaken (abgesehen von deren Staršina). Angeführt von ihrem Nationalhelden, dem Dichter und Freiheitskämpfer Салауат Юлай улы/Salawat Yulay ulı (russifiziert: Салават Юлаев/Salavat Julaev), beteiligten sich die Baschkiren am Aufstand gegen das Zarenrégime. Dabei lag ihnen und Salawat Yulay ulı die Freundschaft zum russischen Volk und den anderen, inzwischen in das Süduralgebiet eingewanderten Volksgruppen sehr am Herzen. Das Salawat-Denkmal (Салауат hәйкәле/Salawat häykäle) in Öfö erinnert daran.

Die Masseneinwanderungswelle russischer Kolonisten ab 1885 schnürten das Baschkirenland (Башҡорт иле/Başqort ile) auf schließlich weniger als ein Drittel seiner früheren Ausdehnung ein. Als Folge zaristischer Siedlungs- und Kolonialpolitik sank innerhalb von nur 12 Jahren (1885-1897) der Anteil der Baschkiren im Gouvernement Ufa (baschk.: Ѳфө виләйәте/Öfö wiläyäte) auf 45%, der der Russen und „Tataren“ stieg auf 42% bzw. 9%.14 Die Baschkiren wurden „gewaltsam von den Grastriften der Steppe zum Ackerbau getrieben“ (Vámbéry) und innerhalb der Grenzen des heutigen Başqortostan nach Nomadenmaßstäben regelrecht zusammengepfercht. Bis dato mehrheitlich des Ackerbaus unkundige Nomaden, blieb ihnen zunächst nur, sich auf ihre seit Jahrhunderten kultivierte Honigproduktion zu konzentrieren. Der zaristische Kolonialismus hatte den Baschkiren die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Existenz entzogen und sie in bitterste Armut gestürzt. Dies warf bei ihnen die nationale Frage auf, die erst mit der Oktoberrevolution und der Gründung der Baschkirischen ASSR gelöst wurde.

Heute stellen von den 4,1 Millionen Einwohnern der Republik Baschkirien (Башҡортостан Республикаhы [Йөмhүриәте]/Başqortostan Respublikahı [Yömhüriäte 15]) als Gliedstaat der Russischen Föderation die Baschkiren 30%, die „Tataren“ 25% (Summe Wolga-Ural-Türken: 55%), die Tschuwaschen knapp 2,0%, die allesamt russophonen Ostslawen (Russen, Ukrainer, Weißrussen) 38%, die Wolgafinnen (Mari, Mordwinen, Udmurten) 3,8% und sonstige 5%. In ihrer Hauptstadt Öfö/Ѳфө (Ufa/Уфa) machen von den 1,106 Millionen Einwohnern die Baschkiren nur 17,1 % aus, die Russen 48,9%, die „Tataren“ 28,3% und die übrigen ansässigen Nationalitäten in der Summe 5,7%.

Obwohl die Baschkiren autochthon sind und die Republik deshalb nach ihnen benannt ist, ja 1919 als ihr Staat gegründet wurde, hat die Dominanz der russischen Sprache im öffentlichen Leben, vor allem ihre Funktion als „interethnische“ lingua franca wieder stark zugenommen. Anders als bis zu Beginn der 1960er Jahre unterliegt die baschkirische Sprache heute dem ständigen Druck, aus Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik verdrängt und auf politisch gerade noch korrektem Folklore-, Dorfsprachen- und Familienkommunikationsniveau zu verharren. Das Gros der Russen, in Başqortostan eigentlich Menschen mit Migrationshintergrund, lebt schon seit über fünf Generationen im Land; dennoch verfügen nach verschiedenen, allerdings nicht nachprüfbaren Angaben bisher nur 0,25% von ihnen über gute Kenntnisse des Baschkirischen in Wort und Schrift.

«Башҡортостанда Урыҫтар башҡорт телен белǝме? Юҡ.»

(Başqortostanda Urıśtar başqort telen beläme? Yuq.)

Beherrschen die Russen in Başqortostan die baschkirische Sprache? Nein.

«Башҡорттар урыҫ телен белǝме? Белǝ.» (Başqorttar urıś telen beläme? Belä.)

Beherrschen die Baschkiren die russische Sprache? Sie beherrschen sie.

Beispielsätze aus: „Интенсивный курс башкирского языка /Intensivnyj kurs baškirskogo jazyka“

(Intensivkurs der baschkirischen Sprache), Baschkirisch-Kurs für Russen, nach:

vk.com/doc166458090_214343248

Im Sinne des Internationalismus, der Völkerfreundschaft innerhalb der Russischen Föderation und des Respekts gegenüber der Baschkirischen Nation kann man erwarten, daß ein angemessener Prozentsatz der in Başqortostan dauerhaft lebenden Russen und übrigen Nichtbaschkiren der baschkirischen Sprache mächtig ist bzw. irgendwann sein wird …


1Transliteration aus der kyrillischen Schrift: baschkirisch nach dem gemeintürkischen Lateinalphabet von 1994, das auf dem türkeitürkischen Zeichensatz basiert, aber für die „russischen“ Türken zusätzliche Zeichen enthält (u.a. < x >, ausgesprochen wie deutsch < ch > in „Achtung“ ); russisch nach dem lateinischen Zeichensatz der Slawistik.

2Die Kyptschaken hießen ursprünglich „Kimäken“ (baschk.: Ҡыймаҡтар/Qıymaqtar); „Kyptschak“ war der Name des führenden Clans, der später auf den gesamten Verband überging. Von Russen und Polen wurden sie „Polowzer“ (Половцы/Polovcy bzw. Połowcy), im Westen meist „Kumanen“ (baschk.: Ҡомандар/Qomandar) genannt. Ab 1050 bildeten sie die geographisch größte Stammeskonföderation ihrer Zeit, die 1236/1241 von den Mongolen vernichtet wurde. Auf dem Gebiet der Kyptschaken errichteten die Mongolen anschließend das „Chanat der Goldenen Horde“ (baschk.: Aлтын урҙа/Altın urđa; russ.: Золотая Орда/Zolotaja Orda).

3Zäki Wälidi, „Die Vorfahren der Osmanen in Mittelasien“, in: ZDMG Nr. 95/1941, S. 371.

4Башҡорт энциклопедияhы/Başqort entsiklopediyahı, Stichwort: „Ҡыпсаҡ, төрки ҡәбиләләр берләшмәhе/ Qıpsaq, törki qäbilälär berläşmähe“ (= „Kyptschaken, türkische Stammesvereinigung“), баш.башкирская-энциклопедия.рф/index.php/component/content/article/8-statya/7940-ypsa

5H. Vámbéry, „Das Türkenvolk in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen“, Leipzig 1885, S. 512

6http://bashkirskimed.ru/bashkortostah/33-bashkirs-andbashkortostans-history.html (Englisch im Original).

7In vielen Türkvarietäten stehen sowohl „qort/qurt/kurt“ als auch „büre/böri/börü“ (jeweils baschkirisch/ kasachisch/türkeitürkisch) für Wolf und Wurm. Offenbar handelt es sich um Metonyme: für Nomaden ist der Wolf ein Parasit („Wurm“), weil er die Schafe reißt. Im Baschkirischen und Kasachischen ist heute jedoch „бүре/büre“ bzw. „бөрі/böri“ das übliche Wort für Wolf und „ҡорт/qort“ bzw. „құрт/qurt“ das übliche Wort für Wurm, während im Türkeitürkischen umgekehrt „kurt“ hauptsächlich für Wolf und „börü“ für Wurm steht.

8„ŠAZ-türkisch“ und „LIR-türkisch“ beziehen sich auf Lautunterschiede zwischen den früheren beiden Hauptzweigen der türkischen Sprache. LIR-türkisch sprachen die prototürkischen Hunnen, Donau- und Wolgabulgaren, Oghuren, Chasaren und andere; ein Rest des LIR-Türkischen ist die heutige tschuwaschische Sprache. Alle übrigen modernen Varietäten des Türkischen (u.a. Baschkirisch, „Tatarisch“, Türkeitürkisch, Kasachisch, Kirghisisch, Neu-Uighurisch) sind ŠAZ-türkisch. Diese Lautverschiebung wurde von Zäki Wälidi festgestellt.

9Die sogenannten Kasan-„Tataren“ sind definitiv keine Tataren, sondern Nachfahren der Wolgabulgaren, z.T. auch von Kyptschaktürken und Wolgafinnen. Im wissenschaftlichen Diskurs werden sie daher „Neutataren“ oder „heutige Tataren“ genannt im Unterschied zu den „Mongol-Tataren“, „Tataro-Mongolen“ oder „Alttataren“. Die Konföderation der wirklichen mongolischen „Alttataren“ nomadisierte östlich des Baikal und wurde 1202 von den Truppen Dshinggiz-Chans vernichtet. Seitdem gibt es keine Tataren mehr. Im Zuge ihres Osteuropa-Feldzuges unterwarfen die Mongolen „fremdstämmige“ Völker, die die Sturmtruppen stellen mußten und als Metapher für besiegte Völker von den Mongolen abfällig „Tataren“ genannt wurden. Mit letzteren hatten die Russen die erste Feindberührung, weshalb sie undifferenziert alle mongolischen und türkischen Steppenvölker (auch die Baschkiren) lange Zeit „Tataren“ nannten und vom „Tataren“-Joch sprachen. Die Kasaner setzten bis Ende des 20. Jahrhunderts „Tatar“ sogar mit „Räuber“ oder „Bandit“ gleich, denn 1236 waren ihre Vorfahren Opfer schlimmster Massaker der Mongolen und ihrer „tatarischen“ Sturmtruppen. Das Ethnonym „Tatare(n)“ im modernen Sinn ist daher in diesem Text immer in Anführungszeichen gesetzt. Gegen die heute offizielle russisch-westeuropäische Fremd- und Falschbezeichnung wehrten sich die Kasan- (und Krim-) „Tataren“ bis in die 1930er Jahre, kapitulierten aber letztlich vor der russisch-internationalen „Terminologie-Übermacht“.

Siehe hierzu auch: Lilija Kulikova, „Wer sind sie, die Tataren“, in: Točka-Treff – Das deutsch-russischsprachige Jugendportal, nach: www.goethe.de/Ins/ru/lp/prj/top/kas/de4858820.htm

10Vámbéry, a.a.O., S. 514 (Hervorhebung im Original)

11Batu-Chan war derjenige Enkel Dshinggiz-Chans, der 1236-1241 den Osteuropa-Feldzug der Mongolen gegen die Mordwinen (Mordowier), Udmurten, Mari und Russen anführte, Razzien durch Polen, Schlesien, Böhmen, Ungarn und Kroatien unternahm, dabei Schneisen der Verwüstung und des Todes hinterließ und die Russen unter das „Tataren“-Joch zwängte. Sein Bruder Şaybani-Chan war Anführer des 1236 parallel geführten Feldzuges gegen die Wolgabulgaren, der die totale Vernichtung des Wolgabulgaren-Staates zur Folge hatte („Einbüßung ihrer staatlichen und nationalen Existenz“; siehe Zitat 12 von Vámbéry).

12Vámbéry , a.a.O., S. 497.

13Zäki Wälidi, nach: http://vlib.iue.it/carrie/texts/carrie_books/paksoy-5/

Ab etwa 1400 beherrschten die Noghaier praktisch die gesamte Steppe zwischen Irtysch, Sır Darya, Kaukasus und Schwarzem Meer, bis sie 1556 der Übermacht der Russen erlagen.

Özbek (Usbek), Chan der Goldenen Horde 1312-1342, ernannte 1328 den Moskauer Fürsten Ivan Kalita zum „Chef-Tributeintreiber“ in den russischen Fürstentümern und zum Großfürsten. Damit leitete er, sich dessen nicht bewußt, den Aufstieg des Großfürstentums Moskau zum Kern der staatlichen Zentralisation Rußlands ein. Unter der Regentschaft Özbeks wurde der Islam zur „Staatsreligion“ erklärt, und die Goldene Horde erreichte den Zenit ihrer Macht. Özbek-Chan hat deshalb noch heute bei den türkischen Völkern einen Nimbus (u.a. bei den Stammes-Usbeken, die sich nach ihm benannten und von denen 1925 der Landesname „Usbekistan/ Özbekistan/Özbekstan/Üzbäkstan“ abgeleitet wurde).

14Vgl.: W.I. Lenin, „Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland“, LW, Bd. 3, Berlin 1975, S. 256/257

15Bis 1937 war „Йөмhүриәт/Yömhüriät“ (= die baschkirische Form des arabischen Wortes für „Republik“) offizieller Namensbestandteil der Baschkirischen ASSR (Başqort Avtonomiyalı Sovyet Sotsialistik Yömhüriäte = Baschkirische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik) bzw. Başqortostan ASSJ:e („Jömhüriät“ damals noch mit < j > geschrieben). Zwischen 1921/23 und 1928/29 wurde der baschkirische Dialekt des Türkischen auf Grundlge der Quwaqan- (Ҡыуаҡан-) Variante (auch: Bergbaschkirisch) und der Yurmatı- (Юрматы-) Variante literatursprachlich normiert und standardisiert und damit zu einer „selbständigen“ Sprache erhoben (wie auch die anderen Türkdialekte in der Sowjetunion). Bis 1929 galt die arabische, von 1929-1940 die lateinische Schrift. Seit 1940 gilt die kyrillische Schrift.

Gastbeitrag von Ingomar König