Aus dienstlicher Freiwilligenverpflichtung fuhren wir zum Seminar nach Köln. 10 Tage lang war die Jugendakademie in einem schönen Städtchen Walberberg unser Haus und Büro.

Und diese Zeit reichte für 20 junge Leute, im Alter von 18 bis 28, um die innigsten Freunde, fast Geschwister zu werden. Russland, Polen, Rumänien, Ungarn, Luxemburg, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Türkei… Die Karte, die unsere Kuratoren für die Übersichtlichkeit vorbereitet hatten, sah aus wie ein Gewebe. Menschen und Städte wurden zusammengeflochten von bunten Fäden und fest darin eingeknotet lagen unsere Schicksale. So fest, dass beim Abschied selbst den Männern die Tränen in die Augen stiegen. Und ich begann die jungen Leute aus der Show „Big Brother“ zu verstehen– um sich mit einem Menschen zu befreunden muss man keine Heldentaten verüben, sondern einfach etwas zusammen machen.

Die ganze Zeit waren wir immer mit etwas beschäftigt – jonglierten, malten, spielten, sangen, drehten einen eigenen Film. Aber im Großen und Ganzen unterhielten wir uns miteinander. Das Ziel des Seminars war es, den Menschen aus verschiedenen Ländern, die ganz unterschiedliche Sprachen sprechen, beizubringen, einander zu verstehen, zu einem Einverständnis zu gelangen, oder wenigstens einen Kompromiss zu schließen.

An einem der ersten Tage gaben unsere Kuratoren Philipp und Tommy uns die Aufgabe, die Ausstattung in einem Nebenzimmer mit geschlossenen Augen zu rekonstruieren. Nicht umsonst verbrachten wir dort 2 Tage. 30 Minuten kostete es uns den Handlungsplan auszuarbeiten und nur 5 – um Tische und Stühle zurechtzustellen. Unsere Akademie war wie der EU- Gipfel: die Franzosen reden viel, die Deutschen organisieren alles, die Türken verstehen nichts und die Russen improvisieren. Ich mache natürlich Witze!

Ein andermal erzählte man uns eine Geschichte über ein armes Mädchen Abigeil, das wegen eines schweren Sturms ihren Liebling nicht erreichen konnte – der Fluss zwischen ihren Dörfern trat über die Ufer, alle Boote waren kaputt. Es blieb nur ein Segelschiff und der Kapitän forderte von der Schönheit für die Überfahrt auf das andere Ufer eine Nacht der Liebe. Abigeils Mutter konnte ihr weder raten noch Hilfe leisten. Und das Mädchen ging auf alle Bedingungen ein und sah bald ihren Liebhaber Tom. Aber als er von dem Preis ihres Glücks erfuhr, wies er sie aus dem Hause. Als Toms Freund von dessen Tat hörte, verfeindete er sich mit ihm und heiratete Abigeil. Also, wer hatte Recht und wer beging eine Abscheulichkeit? Wir mussten alle Helden in einer Liste ordnen: die besten – oben, die bösesten – unten. Beim Besprechen brachten wir verschiedene Argumente vor, bald hatte die Mutter wegen der Neutralität Recht, bald Abigeil – wegen der Aufopferung, bald – Toms Freund – wegen der Güte. Und plötzlich schlugen die Männer vor – Tom könnte die Situation retten, wenn er Sex mit dem Kapitän hätte…Knapp vorbei ist auch daneben. Und den ganzen Tag werteten wir diese vieldeutige Geschichte aus, bis uns die Augen allmählich zufielen. Wir wollten auch eine Grill-Party machen. Aber die Umstände fügten sich immer wieder nicht. Philipps Argumente wie z.B. es sei kalt, ignorierten wir hartnäckig. „Egal heute oder morgen! Es ist Februar. Das Wetter ändert sich nicht “ – mit dieser Antwort überredeten wir unsere Kuratoren. Am Lagerfeuer spielten wir „Blinde Kuh“ und „Stille Post“. Der Spruch eines Polen: „In Hannover an der Leine haben Frauen dicke Beine“ wurde nach einer Runde zu „kräftigen Lenden“ und mein englisches Wort „wood“ – zu „food“. Das Feuer konnten wir leider nicht genießen, aber wir spielten Versteck und amüsierten uns königlich und lachten uns tot.

Polen, Russen und Juden waren Häftlinge hier wegen des politisch verdächtigen Aussehens und Berufs. Die Deutschen besuchen dieses Museum gern: um sich an die eigenen Fehler zu erinnern und nie mehr selbst zu entscheiden, wer das Recht auf Leben hat und wer nicht…

Dann beeilten wir uns und gingen in den weltbekannten Kölner Dom. In diesem großartigen Meisterwerk, das 157 Meter hoch ist, drang uns die Kälte durch Mark und Bein. Und auf unseren Vorschlag den Dom zu erwärmen, antwortete man uns, dass die deutsche Regierung 25.000 Euro bräuchte, um die Luft im Dom um 1 Grad wärmer zu machen.

Der zweite Ausflug war nach Bonn. In der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands besuchten wir das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands, wo wir heimlich die Reste von der Berliner Mauer ertasteten, erfuhren, warum es zwölf Sterne auf der EU-Fahne gibt und hörten Elvis Presleys Schlager zu. Es war sehr interessant, dass man beim Fundament-Aushub für das Museum eine alte Siedlungsstätte unter den Erdschichten fand. Die damals gefundenen Nutzbauten, das Tongeschirr und die Skulpturen wurden zur ersten Ausstellung des neuen Museums.

Beim Abschied konnten wir lange keinen Fuß über die Schwelle der Jugendakademie setzen. Wir saßen schweigend und uns umarmend in der Vorhalle auf unseren Lieblingssofas und trauten uns nicht, aus dieser Gegenwart eine Vergangenheit werden zu lassen. Denn das waren 10 Tage, die die Welt aus den Angeln gehoben haben…

P.S. Links auf unsere Filme

www.youtube.com/watch

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Julia Baydzhanova, Sofya Kovalenko, März 2010