Heute habe ich in den Nachrichten gehört, dass in meiner derzeitigen Heimat (ja, in Halle) ein neuer Tante-Emma-Laden eröffnet wird. Ich dachte, dass ich nach mehr als einem halben Jahr in Deutschland alle komischen umgangssprachlichen Wörter kenne. Aber was ist ein Tante-Emma-Laden? Ich habe gerätselt, was für eine Art von Geschäft dies sein könnte?

Die Üblichen kenne ich: Edeka, Aldi, Kaufland, NP und sogar Lidl, aber Tante-Emma-Laden war mir unbekannt. Oder ist es etwa gar kein Lebensmittelhandel, sondern etwas vielleicht ganz anderes? Meine Gedanken driften in ganz andere Gefilde ab, ich hoffe doch sehr, dass sich Tante Emma nicht selber verkauft. Dies ist doch in Deutschland legal.

Nach einigen Recherchen in Internet fand ich heraus, dass es sich um ein kleines Geschäft handelt, wo man praktisch alles kaufen kann. Man kann Butter, Milch und Kartoffeln, aber eben auch Toilettenpapier und Zahnpasta kaufen. Meist wird der Laden von nur ein oder zwei Verkäuferinnen betrieben, so dass die Kunden diese  gut kennen und man immer ein Gesprächsthema findet. Also ein Paradies gerade für ältere Damen. Schön und gut, solche Läden kenne ich aus meiner Heimat von jeder Straßenecke, aus jedem Dorf.

Ebenso verstand ich bisher nicht, warum der Laden Tante-Emma-Laden heißt. Ich fragte in meiner WG herum. Diese Läden nennen sich Tante-Emma-Läden, weil die Mütter ihre Kinder dorthin schickten, um schnell vergessene Sachen zu kaufen. Wie immer, wenn ein Ei für den Kuchen fehlt oder das Toilettenpapier unerwartet ausging. Da schickte die Mutter ihre Kinder los mit dem Satz «Geh mal zur Tante Emma eine Flasche Bier für den Vater holen». Dabei spielte es gar keine Rolle, ob die Verkäuferin wirklich Emma hieß oder nicht.

Was ich an der ganzen Sache bemerkenswert finde: bisher konnte ich immer nur lesen, dass wieder ein neuer noch größerer Supermarkt eröffnet hat, und nun kehren wohl wieder diese kleinen persönlichen Geschäfte ins Alltagsleben zurück. Ich wäre sehr begeistert, wenn sich diese Tendenz durchsetzen würde. Zwar bin ich noch kein Rentner, will auch nicht mit Verkäuferin über das Wetter reden, habe aber auch kein Lust für ein Stück Butter durch die ganze Stadt fahren zu müssen.

Warum kam es zu dieser Tendenz? Sind etwa die Boom-Zeiten der großen Supermärkte vorbei oder liegt es an der Überalterung der Deutschen? Also eine richtige Antwort kann ich darauf zur Zeit nicht geben, aber ich hoffe ganz stark, dass man in meiner Heimat diese Tendenz rechtzeitig erkennt und nicht wie hier erst alle Tante-Emma-Laden schließt, bevor man sie später wieder eröffnen muss.

Zum Beispiel kaufe ich meine Zugfahrkarten auch viel lieber bei der netten Angestellten der Deutschen Bahn persönlich, anstelle des unpersönlichen Fahrkartenautomatens. Aber vielleicht bin auch ich nur ein furchtbar altmodischer Mensch – oder wie man heute eben sagt: ein Hipster.

Ilia Nasyrov, Juli 2013