Schon zum dritten Mal umfasste das Programm des Jugendaustausches zwischen dem Verein „Freunde Baschkortostans“ und der Baschkirischen staatlichen Universität eine Fahrradtour, dieses Jahr erstreckte sich die Route von Halle bis Weimar. Ich konnte als Journalistin dieser extremen Reise beiwohnen, und konnte – was verwunderlich ist – die Strecke bis zum Ziel bewältigen. Wie es war, erzähle ich in meinem Artikel.

Der erste Tag – Alles liegt noch vor uns!

Heute früh sprühte der feine Regen und das Wetter wollte nicht besser werden. Die geplante Radtour sollte aber unbedingt stattfinden. Um 10 Uhr kam auf den Universitätsplatz die Gruppe von deutschen und russischen Studenten zusammen. Von allen Seiten her hörte man Scherze über die bevorstehende Reise, über gute deutsche Straßen und natürlich über das Wetter. Ein Foto der Gruppe zur Erinnerung geschossen, und schon machten wir uns auf den Weg. Noch ehe wir Halle verlassen hatten, gab es die erste Panne an Marats Fahrrad: Kette gerissen! Nach einer halben Stunde setzten wir unsere Reise fort. Dieser Tag versprach uns, 20 km zurückzulegen und auf dem Gelände der Wassersportler nicht weit von Merseburg zu übernachten. Gegen Mittag erreichten wir das Kraftwerk „Schkopau“, wo eine Führung stattfand. Sicherlich waren einige sehr geschafft, weil die Studenten noch eine Art Pressekonferenz zum Thema „Energetik in Deutschland und in Russland“ in Kraftwerk durchführten und Herrn Rost, dem stellvertretenden Kraftwerksleiter, mit Fragen löcherten.

Die Kraftwerksbesichtigung

Danach erreichten wir Merseburg, eine der ältesten Städte Deutschlands. Zu ihrer Blütezeit war sie eines der wichtigsten Zentren des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, Hauptstadt des Bistums und eine der Kaiserpfalzen. Der Dom (aus dem 11.-16. Jahrhundert) und das Schloss (aus dem 15.-17. Jahrhundert) sind die Zeugen des vergangen Ruhmes der Stadt und gelten bis heute als Symbole von Merseburg. An diesem Tage konnte selbst schlechtes Wetter nicht stören, den Erzählungen von Frau Witte über die Geschichte der Stadt aufmerksam zuzuhören, wie z.B. über den schwarzen Raben, der für die Diener des Fürsten mit seinem Kopf einstehen sollte oder über den Ginkgobaum. Wenn man unbemerkt ihm ein Blatt abreißt und dem Geliebten schenkt, erwidert derjenige die Gefühle. Die Sage bleibt Sage, aber eine Teilnehmerin der Tour konnte so ein Wunderblatt abreißen. Was weiter passiert, wird uns die Zeit zeigen.

Der zweite Tag – Naumburg!

Dom in Naumburg

Bis zu dieser Stadt sollten wir 40 km fahren. Für die sportlichen Deutschen, die jeden Tag mit Fahrrad herumfahren, ist es keine große Strecke. Wie ist es aber für die Russländer, die sich nicht erinnern können, wann sie zum letzten Mal Rad gefahren sind? Aber es zeigte sich, das Kraft dabei nicht das Wichtigste ist. Sogar die Schwächsten konnten an diesem Tage als Erste das Ziel erreichen, weshalb einer der Leiter der Gruppe Ivan Sussanin (nach einer russischen Sage) genannt wurde, und man versprach ihm, eine Karte von Sachsen-Anhalt zu schenken. Zum Glück haben alle Naumburg erreicht. Naumburg liegt, wie auch Halle, an der Saale. Die Stadt konnte ihr mittelalterliches Gesicht bewahren. Im Zentrum der Altstadt befindet sich der romanisch–gotische Dom „Sankt Peter und Paul“, der aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt, mit seiner berühmten westlichen Empore.

Die Stadt hinterließ einen großartigen Eindruck auf die Gruppe. In der Kathedrale konnte sie sich zudem einen Kirchenchor anhören, was für Russländer etwas Exotisches war.

Der dritte Tag – Einnahme der Rudelsburg oder Karsten mit dem Eisenherz.

Sehr gut ist dieser Morgen im Gedächtnis geblieben. „Uns steht eine lange Strecke bevor, aber wir werden langsam fahren!“ teilte Karsten mit. À propos, er war der Hauptorganisator der Fahrradtour. Wir fuhren wirklich langsam, weil wir meist bergauf fuhren. Man hatte nicht nur selber zu fahren, sondern auch seinen eisernen Ross mitzuschleppen.

An diesem Tage passierte die zweite Panne an Marats Fahrrad. Wie viel Mühe man sich auch gab, man konnte die Kette nicht reparieren. Deshalb hat man das Fahrrad an Saschas angekoppelt, der nun eins fahren und eins ziehen musste. Unter solchen Umständen die Einnahme der Festung „Rudelsburg“ vor sich. Aber das war es wert. Uns erschloss sich eine schöne Sicht auf die Umgebung: links von uns war eine mittelalterliche Burg und unter uns floss wie ein Band die Saale. Nicht weit entfernt von unserem Rastplatz, war ein Mahnmal in Form eines Löwen für die Gefallenen im ersten Weltkrieg in Stein gehauen. Nach einer kleinen Rast machten wir uns wieder auf den Weg, der zu unserer riesigen Freude auf einer Asphaltstraße bergab ging. Als wir den Zeltplatz bei Jena erreicht hatten, verriet uns Karsten, auch Eisenherz genannt, das Geheimnis: wir hätten nicht 40 km, sondern 50 km hinter uns gebracht!

Der vierte Tag – Jena!

Radfahren auf dem Hochseil

An diesem Tag ruhten wir und unsere Fahrräder aus. Wir hatten eine Stadtbesichtigung von Jena, einer malerischen Stadt im Saaletal vor uns. Bereits im 12. Jahrhundert war Jena durch den Weinanbau bekannt. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die Stadt zum Zentrum der Reformation und seit der Gründung der Universität 1558 zu einem geistigen und kulturellen Zentrum. Heutzutage ist Jena Sitz von „Jenaoptik“, einer der führenden Unternehmen der optischen Industrie Deutschlands.

In Jena besuchten wir das Museum „Imaginata“. Der Name wird aus dem Englischen als „Phantasie“ übersetzt. Habt Ihr schon Mal versucht, auf einem Hochseil Rad zu fahren oder in einem Labyrinth im Stockdunkeln umherzuirren? Hier war es möglich, und es musste einem gar nicht so bange sein.
Nach dem Spaziergang durch die Stadt kehrten wir auf den Zeltplatz zurück. Zum Abendbrot wollte man Borschtsch kochen. Das war der obligatorische Wunsch nach den sonst üblichen Würstchen. Aber die Suppe wurde erst nach 10 Uhr abends fertig. Zum Glück haben alle diese Zeit überstanden und niemand wollte früh ins Bett zu gehen. Man wartete auf Mitternacht, um einem der Leiter, Tilo, zu seinem Geburtstag zu gratulieren. Die Feier dauerte für einige bis zum frühen Morgen und aufstehen sollte man um 7 Uhr, wie Karsten gesagt hatte.

Der fünfte Tag – Abschluss!

Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar

Hinter uns lagen schon viele Kilometer und hohe Berge. Wahrscheinlich war es deswegen einfacher zu fahren. Zu Mittag waren wir schon in Weimar, der Hauptstadt des deutschen Klassizismus, der Aufklärung und des Humanismus.

Hier hatten Goethe und Schiller gewohnt und gearbeitet, die die Stadt berühmt gemacht haben, wie uns Frau Rahaus während einer Stadtführung erzählte. In Weimar befinden sich ihre Wohnhäuser und Museen, sowie eins der berühmtesten Theater, das von Goethe geleitet worden war und wo die Premieren von Goethes „Faust“ und von Schillers ersten Dramen stattgefunden hatten. Hier wurde die Verfassung der Weimarer Republik angenommen, die 1933 von den Nationalsozialisten beseitigt wurde. Ein dunkler Fleck gab der Stadt ein nicht weit von ihr gelegenes KZ. Heute befindet sich an dessen Stelle ein Mahnmal als Symbol von Tod und Mut.
Weimar wurde der letzte Punkt auf unserer Route. Die Fahrräder in den Zug getragen, fuhren wir auf den bequemen Sitzen nach Halle zurück. Jetzt konnte man erleichtert ausatmen: man braucht die Pedale nicht mehr zu treten. Aber andererseits hatte jeder von uns sehr viel Neues für sich erschlossen. Wir hatten das echte Deutschland gesehen, nicht so bruchstückhaft, wie es von den meisten Touristen angeschaut wird, sondern auf einer Wanderung auf seinen Straßen und durch seine Städte, von selbst ein Kilometer hinter dem anderen zurückgelegt.

Dilara Dilmukhametova,19.08.05