Die Nacht des 28. Novembers wurde zum langen Abend der Galerien. Museen, private Ausstellungen und Design-Studios waren an diesem Abend für alle Interessenten offen. Uns lockte die Modenschau „Bollywood“ an, die in der Galerie von Helmut Stelzer und Thomas Zaglmaier stattfand. Auffallend viele schöne Frauen sammelten sich vor dem Haupteingang. Einen Versuch etwas Schönes ins Geniale zu transformieren hat Designerin Alia Kuvatova gemacht.

Während der ersten Anprobe lernte ich andere Mädchen kennen. Romana, Lisa, Anna, Natalia, Martina, Sofya, Judith, Katarina… Schön und jung, sie waren zum ersten Mal in ihrem Leben auf dem Catwalk. Und die Mehrheit hatte nie gedacht, dass sie eine erfolgreiche Karriere im Modellbusiness machen könnte. Von Geburt Deutsche und Spanierinnen, Russinnen, Polinnen und Kasachinnen waren alltägliche Studentinnen einer ganz typischen deutschen Stadt. Bis zur letzten Minute…

Da waren die Korridore dieser sich schon bewährten Galerie voll mit Gästen, in der Luft roch es nach dem Sekt. Und nach dem Wunder. Etwas ganz Gewöhnliches, wie alles in Bollywood – in einer Traumfabrik –, sollte zum Märchenhaften und Erstaunlichen, Flüchtigen, und deswegen doch Magnetischen werden.

Von einem auf den anderen Augenblick brach die Musik ab. Das Publikum schwieg wartend. Die Rede hielt der Galeriebesitzer. Und mit seinen emotionalen und humorvollen Worten konnte er wahrscheinlich die Frage beantworten, die alle Anwesenden quälte: „Wieso Bollywood?“ Allerdings erzählte er auch über die Kinderjahre der Designerin und ihre ersten Schritte in der Kunst. Ich hörte zu und verstand nichts. Und ich dachte darüber nach, was aus dieser Geschichte am Ende wird: aus diesen Mädchen, aus diesem ziemlich verrückten Make-up, aus dieser Kleidung aus Handspitze und Filz, dieser Marschmusik… Ich weiß nicht, wessen Herz klangvoller hämmerte – Alias von der Aufregung oder meins vom Vorgeschmack.

Aber dann war das Licht aus. Die Soffitten waren angeknipst. An der Wand erschienen die Bilder vom Eiffelturm, Pyramiden, Eisberge im Ozean. Orchesterrrrr… Aber ja doch, es gab kein Orchester! Eine Geige und eine Posaune konnten kaum so erfolgreich Techno mit der Klassik verbinden. Das Publikum trennte sich vom Sekt und Gesprächen, blieb für einen Augenblick ganz erstarrt stehen als das erste Modell auf dem Laufsteg erschien… und ein Beifallssturm rauschte durch den Saal.

Alia Kuvatova gelang die einer Erinnerung ähnliche Kollektion zu schaffen, das Empfinden des Nicht-Wahrnehmbaren, wie ein Nebelbild, strecke die Hand aus und sehe nur einen Schatten auf der Leinwand, das Lichtspiel auf den Fingern… Aber gleichzeitig gab es moderne Textilien, Techniken und Modellserien. Die Vergangenheit und die Gegenwart sind in den Gestalten ineinander übergelaufen und defilierten in die Zukunft. Nichts Überirdische. (Ich wollte die Hälfte von der Kollektion kaufen). Aber gar nicht casual. Wie Kuvatova selbst sagt, „Bollywood“ sei ein Vorbild, wie man das Inkompatible vereinigt: Traditionen und Moderne, Ungeheuerlichkeit und einen dezenten Stil, Mode und Komfort.

Mittlerweile zeigten die Models alles, was sie sollten und kehrten auf den Laufsteg zurück. Wahrscheinlich war solch ein Aufbau der Modenschau für faule Fotografen gedacht, denn als die Mädchen alle zusammen auf den Catwalk kamen und zu Skulpturen wurden, erhellten die Fotoblitze den Saal. Immer wieder, gleichzeitig, wie ein feierlicher Salut. Die Gäste spendeten Beifall, Alia genierte sich über solch ein hohes Lob.

Alles wieder holte sich für neue Gäste, die eine Stunde später kamen. Vorgeschichte, Soffitten, Musik, spritziger Wein in Händen, feste Schritte der bis vor kurzem einfachen Mädchen, und jetzt schon zweimal Göttinnen, Beifall, Blitze und Kuvatovs Lächeln. Es schien mir sogar, dass Mona Lisa genau so lächelte: sie war verlegen, sich aber bestimmt ihres Wertes bewusst, jubelte und hatte keine rechte Traute zu ihrem Glück, allen und niemanden.

„Bollywood“ wurde zu einer wahren Traumfabrik. Im Laufen von acht Minuten rollte der Traum vor jedem ab und zerging in Luft. Aber das war das Ideal und das war über alle Begriffe herrlich!

Julia Baydzhanova, November 2009