Nach vier Monaten sorglosen Lebens in Halle entschied ich: Es reicht, ich kann nicht mehr. Auf nach Hause!!! Gebt mir ein Pferd!!!

Das Pferd nach Moskau stellte mir freundlicherweise die Luftverkehrsgesellschaft GermanWings. Für irgendwelche 120 Euro versprach man mir, mich schnellstens und exakt durch die Luft in der Stadt mit dem Kreml abzuliefern. Jeder weiß, dass eine Flugticketbestellung übers Internet in Deutschland sehr leicht ist, genauso einfach gelangt man planmäßig an Bord des Flugzeugs mit den hübschen deutschen Stewardessen. Doch in Russland…

Mir gelang es einfach nicht, irgendetwas für Russland zu bestellen. So musste ich meine Mutter bemühen, die sich gezwungen sah, zu den Kassen von Aeroflot zu fahren. Vor Ort kaufte sie die Flugtickets für, stellen Sie es sich vor, 200 Euro. Wie wird denn der Flugpreis kalkuliert, wobei die Entfernung Berlin – Moskau um vieles größer ist, als die von Moskau nach Ufa? Weniger Kilometer – mehr zahlen? …Russische Logik.

Freilich, im deutschen Flugzeug hätte ich bei einem zweistündigen Flug für das Essen ungefähr 10 Euro zahlen müssen, im russischen gaben sie (bei anderthalb Stunden Flug) es kostenlos und sehr reichlich. Meine deutsche Freundin antwortete auf meine Empörungen: “Was, sie gaben zu viel zu essen? Aber das ist doch selbstverständlich, du bist doch in Russland…”.
Später – mehr. Am Flughafen Wnukowo, Moskauer Boden unter den Füssen, tauchte ich ein in die Welt des unaufdringlichen russischen Service. Ich, gerade erst aus Europa zurück, wurde von der Frau am Schalter 16 angekläfft. Ich hatte sie gefragt, mit deutscher Sorglosigkeit und einem Lächeln auf dem verschlafenem Gesicht: “Guten Tag! Sagen Sie bitte, wo befindet sich denn der Schalter 19?” “Junge Frau, gehen Sie zur Information und fragen Sie dort!!!” sagte sie und machte große Augen. Mir blieb nichts anderes übrig, als “Danke” zu sagen, so eine Frechheit. Ich habe ihr keinen Anlass zu solch einem Verhalten gegeben, ich fühlte mich einfach zu Hause…

Später dann, im Ufaer Flughafen, musste mein Vater bei 20° Minus draußen auf meinen Koffer warten, da das Gebäude renoviert wurde, und es kein zusätzliches Gepäckband gab. Selbst meinem Vater, der noch nie im Ausland gewesen war, war es zuviel, was er hier von unserer nationalen Flegelhaftigkeit zu sehen bekam, wo die Leute nicht warten können bis sie an der Reihe sind, sondern beinahe über die Köpfe der anderen hinweg ihre Habseligkeiten aus dem Inneren des Flugzeugs zu zerren versuchen.

Und so fahre ich nun nach Hause. Entlang der Straße ziehen sich riesige Schneewehen, es ist Frost, und selbst im Auto weht der Wind. Denn es ist kein VW, sondern ein Arbeitstier, ein Lada. Heiße Grüße an den vaterländischen Produzenten!!!

Ich will gar nicht davon reden, dass mich selbst der eigene Hund nicht erkannte: von klein auf konnte er den Geruch Europas nicht leiden, aber das ist seine Sache. Allein ich rede nicht einfach so von Hunden: in Deutschland sieht man nirgends streunende Tiere. Ich weiß nicht, was die deutsche Regierung kraft allerhöchsten Erlasses mit den verwahrlosten Hunden und Katzen gemacht hat, wo sie leben und ob sie überhaupt leben, aber sie sind nirgends zu sehen. Ich habe Tiere sehr gern, und es tut mir sehr leid, wenn ich sie vor Hunger und Kälte sterben sehe, doch unsere russischen “Streuner” haben sich von alters her daran gewöhnt in Kellern zu leben und auf Müllplätzen zu fressen. Manchmal werden aus diesen bedauernswerten Geschöpfen treue häusliche Zöglinge: so fand meine Freundin einen aggressiven und außergewöhnlichen Freund in einem Kätzchen von der Bahnstation. Deshalb tauchte ich, als ich auf die Straßen meiner Heimatstadt hinaustrat, nicht nur in die Welt der hektischen Ufaer Menschen, sondern auch in den rätselhaften Kosmos der streunenden Katzen und örtlichen Köter mit den treuherzigen Augen.

In dieser selben Welt hätte mich um ein Haar ein Bus überfahren. Ich versuchte nach alter deutscher Gewohnheit genau am Fußgängerübergang den Prospekt zu überqueren. Einer inneren Stimme gehorchend, versuchte ich es im Laufschritt. Doch auch das half nichts: ich geriet beinahe unter die Räder. Zum Glück war ich klug genug, vom Fahrer nicht noch eine Entschuldigung zu fordern.

Als Letztes: wie teuer ist es, sich in Russland zu kleiden!!! Alle meine Freunde hassten mich insgeheim dafür, dass ich im allerbesten Geschäft unserer Stadt ausrief: “Ach Gott, ach Gott!!! Bei uns kostet das dreimal weniger!!!”, “Bei uns” sagte ich, wie eine echte Deutsche in Russland zu Besuch. Einverstanden, die Unzufriedenheit der Freunde war berechtigt.

Ehrlich gesagt dachte ich, die Deutschen sind ein kluges Volk. Für die lebenswichtigen Dinge haben sie astronomische Preise, und auf das, was man entbehren kann, haben sie die allerkleinsten Preise festgelegt. Alles klar, Wasser, Licht und Gas, ebenso Lebensmittel müssen die Menschen sowieso jeden Tag kaufen, aber Kleidung… sogar die teueren Marken sind nur für Deutschland teuer; in Russland kann man sie, noch nicht einmal in bester Qualität, und nicht überall nur für großes Geld kaufen. Die Logik der Russen ist verständlich: bei uns zahlt sowieso niemand dafür, was ihm von Natur aus zusteht, aber in die Produkte menschlichen Verstandes ist man bereit, große materielle Beträge zu investieren.

Also, mit einem Wort, in der Heimat fehlte “ein bisschen” Lächeln, Ordnung und Sauberkeit. Mit dem Rest war ich vollkommen zufrieden, mit dem Frost, dem Schnee und den Menschen. Denn zu den Menschen bin ich ja gefahren, zu Freunden, Verwandten und zu mir nach Hause. Mich erfreuten unsere nationalen Speisen und die angenehme Wärme der Wohnungen. Es ist angenehm festzustellen, dass die Mayonnaise bei uns besser schmeckt, der Borschtsch röter ist und der Fisch nicht so salzig. Ich habe es genossen.

Elena Shalevich, 21.03.07