Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich über Weihnachten und Silvester in Deutschland schreiben sollte. Eigentlich ist es ja blöd, jedes Jahr über das Selbe zu schreiben, was eh allen bekannt ist. Jedes Land hat da seine eigenen Sitten und Bräuche. Nur in Russland ist es wohl so, dank der alteingesessenen Tradition aus Sowjetzeiten, dass die Feiern zum Neuen Jahr ein ausschweifendes Volksfest sind, die sich auf ganze zehn gesetzliche Feiertage ausdehnen. Zum russischen Neujahrsfest kommen noch das orthodoxe Weihnachtsfest sowie das alte Neujahrsfest hinzu – wirklich ein komischer Brauch. Was den homo soveticus zum Feiern am 13. Januar gebracht hat ist unklar. Man kann es kalendarisch erklären: die ersten zwölf Tage symbolisieren die zwölf Monate. Gemäß dem alten Sprichwort „So wie du das Neue Jahr begrüßt, so wirst du das ganze Jahr verbringen“ hat sich ein neues herausgebildet: „So wie du den 1. Januar feierst, wirst du den ganzen Januar verbringen“. Es kommt noch hinzu, dass es sich um den dreizehnten Tag handelt…, was buchstäblich von einer metaphysischen Hoffnung auf ein zweites Leben kündet. Bei uns wurden schon immer abergläubisches Heidentum, Atheismus und Frömmigkeit in einer eigenartigen Art und Weise miteinander kombiniert. Eingießen, umrühren, austrinken, fertig. Mir scheint, nur des Feierns wegen sind diese unendlichen zehn Tage des Verkatertseins und der Leberkoliken ins Leben gerufen worden.

Im Gegensatz dazu, saß ich in Deutschland schon am 2. Januar in meinem Büro und habe versucht zu arbeiten. Die Gene ließen es nicht zu. Sie schrieen nach Sekt und dem traditionellen Salat „Olivier“. Es tat ganz schön weh, am Telefon die Stimmen meiner angetrunkenen Freunde aus Russland zu hören, die mir fröhlich mitteilten, dass es nicht einen (NICHT EINEN) nüchternen Menschen auf der Straße gäbe. Nur einige Studenten hatten Pech: Bei ihnen gingen die Prüfungen schon am 3. Januar los.

Dafür wird in Deutschland, bevor man bei uns überhaupt über die Planung der Feierlichkeiten zum Neuen Jahr nachdenkt, Prüfungen ablegen muss und Jahresabschlussberichte verfasst, alles in einen großen Weihnachtsmarkt verwandelt. Vom 1. – 20. Dezember (an manchen Stellen sogar bis zum Neuen Jahr selbst) wurden auf den Hauptplätzen der Stadt zahlreiche Verkaufsstände aufgebaut, wo man alles Mögliche erhalten konnte. Angefangen von Essensangeboten aus verschiedenen Teilen der Erde bis hin zu allerlei Handgefertigtem oder ähnlichen hübschen Sachen aus der deutschen Weihnachtstradition. Natürlich gab es eine Menge Glühwein, Honigwein und Bier. Und Tonnen an Würstchen. Ich glaube, im Dezember werden in Deutschland die meisten Schweine geschlachtet – wohl eine eigene Opferbringung gegenüber Bacchus oder Christus.

Das deutsche Volk hingegen durchlebt in der Vorweihnachtszeit eine besondere Art an Stress. Alle sind auf der Suche nach dem passenden Geschenk oder verschenken Weihnachtskalender, in denen jeden Tag eine kleine Überraschung versteckt ist. Erst verstand ich nicht recht, wieso man zunächst 24 kleine Geschenke macht, wenn man doch am 24. Dezember ein großes Geschenk machen kann. Aber… mir hat man auch so einen Weihnachtskalender geschenkt. Und ich fühlte mich wie ein siebenjähriges Mädchen, das an den Weihnachtsmann glaubt. Jeden Tag beeilte ich mich das Bändchen zu öffnen und das Geschenk auszupacken. In diesen Momenten umkam mich ein Gefühl der Freude und des Glücks. Meine Wangen glühten vor Aufregung.

Heiligabend an sich verbrachte ich bei der Familie meiner deutschen Freundin. Ich hatte wirklich das Gefühl, ein Teil der Familie zu sein, denn  ebenso oft erklang mein Name, als Kristin die mit Schleifen zugebundenen Geschenke unter dem Tannenbaum hervorholte und austeilte. Das war mir sogar ein bisschen peinlich. Die Tradition, dass sich an Heiligabend die ganze Familie (von Oma über Opa bis hin zu den Enkeln und Urenkeln) in einem Haus versammelt, ist wundervoll. Wenn du unter dem Tannenbaum die Berge von Geschenken siehst, wird dir sofort klar, dass es dieser Familie an nichts fehlt. Sie sprüht vor Lebenskraft. Die russischen Menschen stützen sich in ihrer Weltanschauung zu einem nicht geringen Teil auf die fernöstliche Philosophie. ein weit verzweigter Stammbaum bedeutet somit, dass es einer Familie gut geht. Kurz und gut: ich badete in der Energetik des Weihnachtsfestes. Und Weihnachten feierten wir wirklich königlich: so viel habe ich sogar in Russland nie gegessen und getrunken. Die Luft, das große Haus, das ganze drum herum luden einfach dazu ein, dass man alles vorfand und sich um nichts zu kümmern brauchte.

Bei uns geht es Weihnachten viel strenger zu. Wir geben der Auferstehung Christi mehr Beachtung, feiern ausgiebig Ostern, auch im Kreise der Familie. In diesem Land sind wir doch alle nach dem Dostoevskij-Prinzip aufgewachsen: Uns reichen Leiden und dazu Mel Gibsons Film „Die Passion“. Auch eine Philosophie…

Elena Shalevich, 19.01.07