An einem Sommertag vor über tausend Jahren (nach urkundlichen Quellen um 803) hütete ein Hirt im Tal, an dem Ort, wo zukünftig die Stadt Halle entstehen sollte, seine Schweine. Der Tag war sehr heiß. Um sich abzukühlen, wälzte sich eine Sau in einem Schlammloch. Als sie sich von der Sonne trocknen ließ, bemerkte der Hirt, dass ihre Borsten plötzlich weiß wie Silber glänzten. Der Hirt kostete und stellte fest, dass sie salzig schmeckten. Erfreut über den unerwarteten Fund beeilte er sich den Anwohnern davon zu erzählen. Und in der Tat entdeckten diese eine Salzquelle. Fortan wurde der Ort mit dem keltischen Wort „Hall“ benannt. Dies war der Anfang der Stadt Halle.

Selbstverständlich können wir heute nicht belegen, dass es in Wirklichkeit so war. Es gibt Beweise dafür, dass das Salz in dieser Gegend bereits vor vier Jahrtausenden gewonnen wurde. Die Geschichte mit dem Schweinehirt wird als Sage wahrgenommen. Aber ihre Existenz und Bedeutung im Mittelalter verdankt Halle in erster Linie ihren Salzquellen. Es sind vier davon bekannt: der Gutjahrbrunnen, der Meteritzbrunnen, der Hackebornbrunnen und der Deutsche Brunnen. Im Jahre 1519 war der letztgenannte 12m tief. Aus einem Zentner Sole wurden 24 Pfund Salz gewonnen. Der Gutjahrbrunnen war bis vor kurzem mit Bauschutt gefüllt. Heute ist er wieder hergerichtet und kann in einem der Keller in der Oleariusstraße besichtigt werden.

Das hallesche Wappen

Wofür steht das Wappen der Stadt?

Die Stadt wurde erst viel später errichtet. Die Halloren baten ihren Lehnsherren um Erlaubnis, um die Solebrunnen herum eine feste Wohnsiedlung zu errichten. Dieser fragte nach dem Kapital der Stadtgründung. Die Bewohner verwiesen der Überlieferung zufolge auf das Salz und ihrer Hände Arbeit: „Han wir hüte Water und Holt, so han wir morne Silber und Gold.“ Worauf der Lehnsherr ihnen sein Vertrauen schenkte: „Sonne, Mond und Sterne“, so sagte er, „sollen euch beschützen“. Noch heute finden sich eben diese Elemente im Wappen der Stadt. Wobei die waagerechte Mondsichel zugleich eine Salzpfanne symbolisiert, während Sonne und Sterne auch für die wertvollen Miniralkristalle stehen. Das hallesche Wappen findet man an ungewöhnlichen Stellen, zum Beispiel auf Straßendeckeln oder an alten Fensterläden.

Wie wurde die Stadt gebaut?

Ab dem 11. Jahrhundert wurde die Stadtmauer mit 40 Wachtürmen errichtet. Wie eine Burg sollte sie vor Feinden schützen. Als das Schießpulver entdeckt wurde, verstärkte man die Mauer.

Im 12. Jahrhundert wurde ein halbkreisförmiger Mauerring mit sechs riesigen Toren aus schweren Eichenbalken gebaut. Diese waren: das Ulrichstor, das Steintor, das Galgtor, das Rannische Tor, das Moritz- und das Klaustor. Von ihnen gingen Handelsstraßen in alle Richtungen. Nachts oder bei Gefahr verschloß man die Tore.

Als Ursprung der Stadt gilt der Hallmarkt, wo sich erste Siedeanlagen befanden.

Der Leipziger Turm

Die Grenzen der mittelalterlichen Stadt sind auf dem heutigen Stadtplan noch gut auszumachen: Die „Ringstaße“ zwischen den zentralen Straßen kennzeichnet recht genau den Verlauf der alten Stadtmauer. Von den Wehranlagen ist jedoch nur ein kurzes Teilstück am Waisenhausring erhalten geblieben, sowie der um 1450 errichtete Leipziger Turm am Hansering. Der Wehrhaftigkeit geschuldet ist auch der schlängelförmige Verlauf von Großer Ulrichsstraße und Rannischer Straße. Sie verbanden das Stadtzentrum mit dem Ulrichstor im Norden und dem Rannischen Tor im Süden.
Die Sage berichtet, dass beim Bau der Stadtmauer den Einwohnern der Teufel selbst geholfen hat.

Als die Stadtbefestigung am Rannischen Tor abgeschlossen werden sollte, ging den Ratsherren fristlos das Geld aus. Da bot der Teufel seine Hilfe an. In drei Nächten, vom letzten bis zum ersten Hahnenschrei, wollte er die Mauer fertig bauen. Als Gegenleistung verlangte er zwei Kinder. Die Bürger waren erschrocken von solch grausamem Wunsch. Aber Bruder Anselm, ein Mönch, riet ihnen, auf die Forderung einzugehen. Mit gewaltigen Kräften schleppte der Teufel des Nachts Riesenbrocken herbei, und besorgt sahen die Bürger am Morgen, wie weit der Mauerbau fortgeschritten war.

„Laßt mich nur machen“, beruhigte sie Bruder Anselm.

In der letzten Nacht, kurz bevor es dämmerte, stieg er mit einem Hahn auf den Hausmannsturm. Den Hahn hatte er so dressiert, dass dieser auf sein Kommando krähte. Als der Mönch sah, dass der Teufel fast fertig war, ließ er seinen Hahn krähen. Sogleich stimmten auch die anderen Hähne in den Weckruf ein.

Aus Wut darüber, dass er verloren hatte, warf der Teufel die übriggebliebenen Steine in die Stadt.

Nach 1815 wurde die Mauer abgerissen. Der Leipziger Turm ist der einzige erhaltene Turm der Stadtmauer. Im Mittelalter wurde er der „Runde Turm“ genannt. Seine Mauern sind 2,80 m stark, und er ist über 100 Fuß hoch.

Zur Erinnerung: 1 Fuß ist ein von der Fußlänge abgeleitetes Längenmaß, ungefähr 30 cm. Die Straße, an der der Turm steht, führte nach Leipzig und war eine der wichtigsten Heer- und Handelsstraßen. Vom Turm aus konnte man bis zur Galgstätte, dem heutigen Riebeckplatz, sehen und Alarm geben, wenn Feinde anrückten.

Hallenser, Halloren und Hallunken

Der Dichter Heinrich Heine soll einst die Bewohner der Saalestadt in „Hallenser, Halloren und Hallunken“ eingeteilt haben. Die Hallenser sind die Stammbevölkerung der Stadt, die in verschiedenen Bereichen tätig waren, die Halloren sind einheimische Salzsieder, und unter Hallunken versteht man Strolche und Betrüger. So wurden auch Zugereiste bezeichnet.

Halloren wurden die Salzwirker ungefähr seit dem Jahre 1630 genannt. Sie waren Hallknechte. Aus vier Brunnen wurde die Sole geholt, in den Siedekoten zu Salz gekocht, das Salz in Körben getrocknet und verkauft. Die Siedekoten waren kleine, schiefe, fensterlose Hütten aus Lehm oder Holz, ohne Schornstein, mit Herd und Solfässern im Innern.

Das Modell einer Siedehütte

Die Pfannen in den Siedehütten gehörten den sogenannten Pfännern. Im 15. Jahrhundert bildeten sie den „Alten Rat“, von dem im großen Maße das Schicksal der Stadt abhing. Unter den Einwohnern der Stadt kam es oft zu Aufständen, um sich gegen die Ungerechtigkeit der Herren zu wehren. Diese Streitigkeiten kamen dem Erzbischof Ernst sehr zustatten, und 1478 marschierten seine Truppen in die Stadt. So wurde die Unabhängigkeit der Stadt allmählich eingeschränkt.

Die Halloren erfüllten neben der Salzgewinnung noch andere Aufgaben: Sie halfen bei Bränden, bei Hochwassernot und waren Leichenträger. Sie hatten Recht auf Fischfang und Jagd an den Orten, wo niemand wohnte. Halloren durften auch Schweine züchten.

Lebensfrohe Traditionen der Halloren

Halloren erkennt man an ihrer Tracht: dem Dreispitz, der Kniehose mit den weißen Strümpfen und dem Rock mit geblümter Weste. Jeder der 18 daran befestigten silbernen Knöpfe spiegelt die gesellschaftliche Lage der Halloren wider. Jeder Knopf hat dabei seine eigene Bedeutung. Einem Halloren in solcher Tracht kann man auch heute noch begegnen. Zum Beispiel in der offenen Ausstellung im Halloren- und Salinemuseum.

Nationaltrachten der Halloren

Die Halloren pflegten viele Traditionen. So feierten sie in geraden Jahren das Sonnenfest, und in ungeraden das Bierfest. Bis heute begeht man im September das Salzfest.

Am 11. November wurde von den Halloren bis Anfang des 19. Jahrhunderts das Fest des Heiligen Martins begangen. Abends stellten ihre Kinder der Tradition nach einen Krug mit Wasser auf. Die Eltern füllten ihn heimlich mit Apfelmost und legten Gebäck, ein Martinshörnchen, daneben. Nachdem am nächsten Morgen die Kinder den Vers: „Marteine, Marteine, mach Wasser zu Weine“ aufgesagt hatten, freuten sie sich, dass aus dem Wasser Apfelsaft geworden war.

Seit gut 1 000 Jahren ist im deutschsprachigen Gebiet der Nikolaustag bekannt. Am Vorabend legten die Kinder einen Würfel Zucker für den Schimmel in ihre Schuhe. Am nächsten Morgen fanden sie Süssigkeiten darin. Der heilige Nikolaus war auch der Schutzpatron der Salzquellen. Ihm wurde in einer der Stadtstraßen eine eigene Kapelle geweiht.

Bei den Halloren war es nicht üblich, zu Weihnachten einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Er wurde durch Leuchter ersetzt. Letztere wurden aus Weidenzweigen angefertigt, danach wurden sie mit salzhaltigem Wasser bespritzt. Das Wasser verdunstete, und auf den Zweigen blieben die Salzkristalle übrig. Im Kerzenlicht glitzerten sie. Diese Traditionen gingen bereits im 19. Jahrhundert verloren, wurden aber im Jahr 2000 wieder aufgenommen. Und heute schmücken die glitzernden Leuchter die Ausstellungsräume des Halloren- und Salinemuseums.

Halloren- und Salinemuseum

Hier wird auch der Silberschatz der Halloren aufbewahrt. Er besteht aus 83 Pokalen und 2 Kettengürteln, die die Salzwirkerbruderschaft im Laufe von 500 Jahren zusammen getragen hat. Der Grundstock dafür wurde gelegt, als sich die Hallenser für die Hilfe der Halloren beim Hochwasser mit einem Silberbecher bedankten.

Die Siedeanlage wird viermal pro Jahr in Betrieb genommen

In 1960-er Jahren war die Salzquelle erschöpft. Halle gilt heute nicht mehr als ein Hauptlieferant von Salz. Aber die Traditionen der Halloren sind nach wie vor lebendig. So überreichen die Halloren zum Beispiel am Neujahrstag dem Landesherren als Geschenk Soleier und Schlackwurst.

Das alte Verfahren des Salzsiedens kann man im Halloren- und Salinemuseum beobachten. Die einzige erhalten gebliebene Anlage wird bei Aufträgen aus anderen Regionen in Berieb genommen und auf jeden Fall viermal pro Jahr, damit die Hallenser an die ruhmreiche Geschichte der Stadtentstehung erinnert werden.

Dilara Dilmukhametova, Inna Elshina, 21.12.2004