Am 8. Juni hat in der Nähe von Samara einmal mehr Europas größtes Festival Rock nad Wolgoj (Рок над Волгой) stattgefunden. Die diesjährige Version hat alle Rekorde gesprengt. Knapp 700.000 Musikbegeisterte aus ganz Russland und Europa sind zusammengekommen, um russischen Rock zu feiern und die spektakuläre Live-Show der deutschen Band Rammstein zu sehen.

Die Stadt Samara an der Wolga ist bereits seit 2009 Russlands Mekka der Rockmusik. Kamen im Jahre 2009 167.000 Besucher, so waren es bei der fünften Ausgabe in diesem Jahr bereits 691.000. Da erscheint im Vergleich dazu Deutschlands größtes Open-Air-Festival Wacken Open Air mit seinen 85.000 Besuchern lächerlich klein. Grund für die enormen Besucherzahlen ist wohl auch die Tatsache, dass der Eintritt kostenlos ist. Es wird von der russischen Regierung aus Anlass des Tages Russlands veranstaltet.

Darüber hinaus bezieht das Festival seine hohe Attraktivität aus dem großartigen Line Up mit vielen sehr populären russischen und internationalen Rockkünstlern. Dabei gibt es Bands, die regelmäßig bei dem Festival auftreten. Dazu gehören zum Beispiel die russischen Rock-Urgesteine Alisa (Алиса) und die Band Aquarium (Аквариум), die als Pionier der russischen Rockmusik gilt und schon seit den 70ern aktiv ist. Auch die aus Ufa stammende Band DDT (ДДТ) ist schon zwei Mal bei Rock nad Wolgoj aufgetreten.

Als Headliner wird jedes Jahr eine international bekannte Band verpflichtet. Nach Deep Purple im Jahre 2011 und Limp Bizkit 2012 gelang es den Veranstaltern, für die diesjährige Ausgabe des Festivals die deutsche Rockband Rammstein zu verpflichten. Für die beiden in Ufa lebenden Reporter Pascal und David die Gelegenheit, diese Band, um die es in den letzten Jahren einen enormen Hype gab, endlich auch einmal selbst zu sehen. Eintrittskarten für ein Rammsteinkonzert in Deutschland sind heiß begehrt und können gut und gerne bis zu 100 Euro kosten. Da kann man sich glücklich schätzen, dass die Band sich die Mühe macht nach Samara zu kommen, um auf einem eintrittsfreien Festival zu spielen.

Das Festivalgelände auf einer großen Grünfläche in der Nähe Samaras wurde offiziell um 9:30 geöffnet. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren viele Besucher angekommen und die parkenden Busse schienen eine endlos lange Reihe zu bilden. Auch der für private Autos ausgewiesene Parkplatz war bereits gegen Mittag überfüllt. Die erste Band mit Namen Mordor (Мордор) fing um 12 Uhr an zu spielen. Unter der sengenden Mittagssonne versammelten sich treue Fans, um ihre Band zu sehen und zu hören. Doch erst im Laufe des Nachmittags strömten die Menschenmassen zur Bühne, die extra für den diesjährigen Rammstein-Aufritt auf 21 Meter Höhe und 60 Meter Breite vergrößert worden ist. Einen ersten Höhepunkt stellte gegen 15 Uhr die Alternative-Rock-Band Tschisch i Ko (Чиж и Ко) dar, bei deren bekannten Songs Fantom (Фантом – Das Phantom) oder O Lubwi (О любви – Von der Liebe) nahezu jeder Festivalbesucher mitsingen konnte. Weiter ging es mit den Gruppen Piknik (Пикник), Aquarium (Аквариум)und Kipelov (Кипелов). Als danach Alisa (Алиса) auf die Bühne kam und die inoffizielle Hymne des russischen Rocks „Ja swaboden“ (Я Свободен) – auf Deutsch „Ich bin frei“ – anstimmte, stand die gesamte Menge und sang feierlich mit als sei es die russische Nationalhymne.

Für halb zehn am Abend schließlich war der Auftritt von Rammstein geplant. Die Rockband ist in Russland außerordentlich populär. Fast jeder Russe hat schon von dieser Band gehört und kennt zumindest den einen oder anderen Song. Deswegen kommt die Band auch immer wieder gerne in das riesige Land im Osten. Sänger Till Lindemann sagte in einem Interview einmal: „Bei den Russen ist es so, da merkt man eine verloren gegangene Energie, die zurückkommt. Man merkt den Mangel an Events überhaupt, an Konzerten, an kulturellen Höhepunkten. Die flippen da so aus, das ist so angestaut. Das ist auch relativ aggressiv, man merkt das. Aber das ist eine gute Energie. Es macht Spaß, da zu spielen.“

Die Baschkirienheute-Reporter Pascal und David konnten es sich natürlich nicht entgehen lassen, schon zu Beginn ganz vorne zu stehen. Denn wann bekommt man schon die Chance, ein Rammsteinkonzert kostenlos zu sehen. So begannen die beiden Unerschrockenen die Menschenmassen in Richtung Bühne zu durchqueren.  Nach einiger Zeit verloren sie sich aber aus den Augen und setzten ihren Weg getrennt voneinander fort. Und kamen ihrem Ziel dabei immer näher. Der ersten Reihe. Pascal war noch circa 30 Meter von der Bühne entfernt, als alle Scheinwerfer erloschen und die Menge ruhiger wurde. Mehr und mehr Menschen begannen, nach Rammstein zu schreien. David vernahm die Stimme einer hysterischen Russin, die immer wieder auf Deutsch bis fünf zählte und dann den Bandnamen Rammstein brüllte. Doch vergaß sie beim Zählen die vier. Überhaupt war es amüsant, den russischen Festivalbesuchern dabei zuzuhören, wie sie versuchten, die deutschen Songtexte mitzusingen. Aus dem Imperativ „Bück dich“ wurde dann etwa ein stark russisches angehauchtes „Bjuck dych“. Pascal ging immer weiter nach vorn, was langsam schwieriger wurde, da die Menschen begannen zu springen und zu schubsen. Die Bühne war mit einem dunklen schwarzen Vorhang verhüllt.

Ganz plötzlich begann die Performance mit einem Schlagzeug-Solo, zu dem beeindruckende Pyro-Effekte eingesetzt wurden. Nach und nach setzten immer mehr Instrumente in das Intro des bekannten Songs „Rammstein“ ein. Nachdem der Vorhang fiel, wurde Till Lindemann mit Hilfe eines Lifts auf die Bühne herunter gelassen. Er trug einen schwarzen Lederanzug in Kombination mit einer rosa Pelzjacke. Bevor er anfing zu singen, starrte er einen Moment lang über die riesige Menschenmenge, was die Meute ausrasten ließ. Pascal versuchte immer weiter nach vorne zu gelangen. Unterwegs wurden an ihm Menschen mit Schwächeanfällen vorbei getragen. Endlich gelang ihm das schier Unmögliche. Er war in der ersten Reihe angekommen, wurde aber gleich darauf von den Flammenwerfern erst einmal wieder einen halben Meter zurückgedrängt. Rammstein begann mit der Performance ihres bekannten Songs „Feuerfrei“. In den ersten Reihen war es nicht mehr möglich zu stehen. Alle sprangen wie wild hin und her. Rammstein gab eine Zugabe von drei Songs und beendete das Konzert mit ihrem Song „Sonne“, bei dem sie mit den Scheinwerfern das Gelände taghell erleuchteten. Nach dem Ende dieses letzten Liedes mischten sich die beiden Reporter unter den Menschenstrom und machten sie auf in Richtung Bus. Dabei wurden sie von einem großen Abschlussfeuerwerk überrascht, das mehrere Minuten andauerte.

Rammstein in Melbourne 2011 (Quelle: Wikimedia Commons)

Nicht nur David und Pascal waren von dem Festival begeistert. Für Rodion, einen 18-Jährigen Informatikstudenten aus Ufa, ist mit dem Besuch des Festivals ein Traum in Erfüllung gegangen. „Die Feuershow von Rammstein war abgefahren!“, sagt er. „Nur organisatorisch gab es ein paar Probleme. Zum Beispiel gab es für die ganzen Menschenmassen viel zu wenige Toiletten, sodass man teilweise eine halbe Stunde lang anstehen musste.“ Ganz allgemein war die Organisation jedoch sehr gut. Bis auf die festivalüblichen Probleme wie der eben erwähnte Mangel an Toiletten, die relativ schlechte Verkehrsanbindung, die nach dem Event zu stundenlangen Staus führte, und ein komplett überlastetes Handynetz verlief das Festival reibungslos. Ein massives Polizeiaufgebot sorgte für Ordnung, den ganzen Tag über patrouillierten berittene Polizisten entlang dem Festivalgelände. Wer das eigentliche Gelände betreten wollte, musste sich einer eingehenden Leibesvisitation unterziehen. Während des Festivals aber war von der Polizei wenig zu sehen und man konnte die Musik unbeschwert genießen. In unserem bisherigen Freiwilligendienst war dieser Tag einer der aufregendsten und wir werden ihn wahrscheinlich nicht so schnell vergessen.

David Witkowski, Pascal Hellfritsch, Juni 2013