Der Stadtteil Neustadt, den sehr viele Hallenser mit öden mehrstöckigen Gebäuden und der jüngsten DDR-Vergangenheit assoziieren, wurde zu einem Kulturzentrum, wo sich sehr viele Leute aus ganz verschiedenen Berufen versammelten: von Künstlern und Schauspielern bis hin zu Gelehrten und Beamten. Hier wurde vom 9. September bis zum 2. Oktober die Sommerschule veranstaltet. Neustadt wurde zum Schauplatz von Kunst- und Theateraktionen, Workshops, Vorträgen, Ausstellungen und Performances.
Die Internationale Sommerschule Halle ist ein gemeinsames Projekt des Thalia Theaters, der Stiftung Bauhaus Dessau, des IBA-Stadtumbau 2010 und der Stadt Halle, und ihr Ziel ist es, auf diesen Stadtteil aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass Halle-Neustadt seine Bedeutung nicht verloren hat und dass es Möglichkeiten gibt, es zu neuem Leben zu erwecken.
Halle-Neustadt entstand Anfang der 1960er Jahre. Es wurde geplant, einen vollwertigen Stadtteil zu errichten, wo die Arbeiter der Leuna- und Bunawerke leben konnten. Bis 1990 war Neustadt eine selbständige Stadt. Nach der Vereinigung mit dem alten Stadtteil wurde Halle zur größten Stadt in Sachsen-Anhalt, zur Stadt mit 2 Gesichtern. Gleichzeitig erwartete Neustadt ein globaler Umbau. Der Abbau von Arbeitsplätzen in den Betrieben, die zahlreiche Übersiedlung ins Zentrum, leerstehende Häuser – das führte dazu, dass Halle-Neustadt seine frühere Atraktivität verloren hat.
Das Gebäude des S-Bahnhofs Halle-Neustadt und sein Umfeld wurden nicht von ungefähr zum Veranstaltungsort. Der ebenfalls in den 1960er Jahren errichtete Bau war der Anziehungspunkt für alle Neustädter. Von hier aus erreichten die Arbeiter mit Zügen die Leuna- und Bunawerke. Heute erinnern die Räume des Bahnhofs eher an Keller, und nicht jeder traut sich da hinein. Aber die Sommerschule konnte sie zum Leben erwecken.
Auf dem Bahnsteig, zwischen einfahrenden Zügen, wurde das Theaterstück „Sechs Zellen“ aufgeführt, das von dem Leben von sechs Menschen in der Industriestadt Sochaux, deren Schicksale auf tragische Weise miteinander verwoben sind, erzählt. Sie alle suchen das fatale Detail in ihrem Leben, das sie hat abstürzen lassen.
Den Spuren „Verlorener Staaten“ folgt eine Ausstellung des Ethnologischen Instituts der Martin-Luther-Universität. Staaten gehen unter und tauchen in der Erinnerung von Menschen wieder auf. Jemand verklärt sie romantisch als „bessere Zeiten“, jemand dämonisiert als Terrorregime. An drei Workshoptagen können aus dem vorhandenen Material fiktive Staatserinnerungen zusammengestellt werden.
Auf der Freifläche vor dem Bahnhof wird die Aktion „Heiße platte! Was isst die Neustadt?“ organisiert. Häuser und Straßen stellen ihre kulinarische Kreationen vor. Die Köchinnen und Köche sind Schüler, Rentner, Hausfrauen (und -männer), Arbeitslose, Künstler, mit einem Wort alle Interessenten.
Es wurde auch eine TV-Serie gezeigt, die das Leben in einer WG verfolgt. Ihre Produzenten sprechen verschiedene Probleme an – von A wie Arbeitslosigkeit bis Z wie Zwangsneurose.
Neben einem Workshopangebot wird im Rahmen von „beautiful Neustadt“ ein Begleitprogramm mit vielen weiteren Projekten und Vorträgen angeboten, in dem unter anderem die Geschichte der Neustadt und urbane Utopien thematisiert werden. Es entstehen Comicreportagen zu Halle Neustadt, Souvenirs und ein Sammelband aus Erzählungen zu diesem Stadtteil.
Realisiert werden die meisten Veranstaltungen von Studenten und Absolventen der Martin-Luther-Universität, die Architektur, Design, Umweltschutz, Sozial- und Kulturwissenschaften studieren.
Dilara Dilmukhametova, 28.09.05