Trampen – das heißt nicht nur preisgünstig reisen, sondern vor allem Land und Leute kennenlernen und viele kleine Abenteuer erleben. Die beiden deutschen Autoren von Baschkirienheute haben es gewagt, einmal von der baschkirischen Hauptstadt Ufa bis zum 4000 Kilometer entfernten Baikalsee und zurück zu trampen und sind für ihren Mut mit einer unendlich großen Zahl spannender Erlebnisse und mit einem ganz anderen Einblick in das riesige und traumhaft schöne Russland belohnt worden. Aus ihren Erfahrungen heraus haben sie diesen kleinen Russland-Tramp-Ratgeber verfasst, um allen, die das größte Land Erde auch einmal auf diese außergewöhnliche Weise kennenlernen wollen, eine kleine Starthilfe zu geben.

Die Vorbereitung – Straßenatlas und Toilettenpapier

Bevor es losgeht, ist natürlich eine gewisse Vorbereitung von Nöten. Da trampen allerdings sehr von der Spontanität lebt, von der Fähigkeit, den einmal geschmiedeten Plan ganz schnell umzuwerfen und einer neuen Lage anzupassen, benötigt man keinen zweiwöchigen Vorlauf. Man kann nur sehr schwer vorhersehen, wann und wo man am Abend eines langen Tramptages schlafen wird, denn für Tramper hängen keine Fahrpläne aus. Von Bedeutung ist es deshalb zu wissen, wo man hinwill und wie man dorthin kommt. Außerdem wichtig ist, für den „Notfall“ gerüstet zu sein, für den Fall, dass man sein geplantes Ziel einmal nicht erreicht und die Nacht an einem etwas ausgefalleneren Schlafplatz verbringen muss.
Wichtigstes Hilfsmittel beim Trampen ist daher ein Straßenatlas. Er ist nicht nur unersetzlich, um herauszufinden, wo man gerade ist und wo man hin will. Es kommt auch eher selten vor, dass man von einem Autofahrer, der anhält gleich bis zum geplanten Zielort mitgenommen wird. Stattdessen heißt es oft „umsteigen“. Man wird beispielweise nur bis zur nächsten Kleinstadt mitgenommen und muss dort auf eine neue Mitfahrgelegenheit warten. Natürlich kennt man als Ortsunkundiger nicht jedes Dorf und jedes Städtchen auf dem Weg zum Ziel. So ist es von Vorteil, wenn man auf der Straßenkarte nachsehen kann, ob eine Mitfahrgelegenheit wirklich weiterhilft, oder ob das Auto 10 km weiter in den Wald abbiegen wird. Gut geeignet fürs Trampen ist der Автоатлас России (Autoatlas Russland). Er ist in vielen größeren Buchläden erhältlich und enthält neben Verzeichnis der Tankstellen auch alle Polizeistationen entlang der großen Trassen.

Zur Verpflegung: Angst vor dem Verhungern ist unnötig. An den Fernstraßen gibt es genügend gute und günstige Cafés. Trotzdem sollte man sich haltbare Lebensmittel (v.a. ausreichend Wasser) mit auf den Weg nehmen, falls man bis zum Abend sein Ziel nicht erreicht hat und irgendwo spontan übernachten muss.
Auch Toiletten sind immer vorhanden. Allerdings muss man sich in abgelegenen Gegenden mit einer „Bio-Toilette“ – also einem einfachen Plumpsklo – zufrieden geben. Es ist von Vorteil, immer eine kleine Rolle Toilettenpapier und eine Packung Feuchttücher dabeizuhaben.

Los geht’s – „Nehmen Sie mich mit auf die Reise?“

Der Ausgangspunkt sollte gut gewählt sein. Da es Innerorts üblich ist, dafür zu bezahlen, wenn man im Auto mitgenommen wird (Schwarztaxi), eignet sich als Startpunkt für eine Trampfahrt zu einer anderen Stadt vor allem der Stadtrand. Zu empfehlen sind Stellen kurz hinter den Auffahrten auf Fernstraßen, Tankstellen und DPS-Stationen (Verkehrspolizei), weil die Autofahrer hier relativ langsam vorbei fahren und daher öfter geneigt sind, anzuhalten. Achten sie darauf, dass ein Seitenstreifen zum Anhalten vorhanden ist. Eine weitere Möglichkeit ist es, Fahrer an Tankstellen direkt anzusprechen. Für einen ersten Kontaktversuch eignet sich der freundliche Satz: „По пути не возмёте?“ (Aussprache: Pa puti nje vazmjote? zu Deutsch etwa: Nehmen Sie mich mit auf die Reise?) Generell ist es eine große Herausforderung, in einer unbekannten Region einen guten Anfangspunkt zu finden und dann auch noch den Weg aus der Stadt heraus zu dieser Stelle in Erfahrung zu bringen. Der Kontakt zu Einheimischen ist dafür unbedingt notwendig. Ohne russische Sprachkenntnisse sollte man deshalb auf das Trampen in Russland eher verzichten!

Mädchen- und Ausländerbonus

Für Frauen und Pärchen ist es grundsätzlich leichter mitgenommen zu werden als für einzelne oder mehrere Männer. Aber teilweise auch gefährlich. Nicht immer hält ein Fahrer ohne Hintergedanken an. Deswegen sollte man sich als Frau lieber in männlicher Begleitung bewegen. Einzelne Männer wirken im ersten Augenblick auf den Fahrer eher weniger vertrauensvoll als ein Pärchen.

Als Ausländer genießt man in Russland häufig eine Art Sonderbehandlung – im positiven Sinne. Gerade wenn ein Fahrer anfangs vielleicht noch abgeneigt war, den Tramper mitzunehmen – ein fremdländischer Akzent und ein großes Lächeln wirken wahre Wunder. Die ausländische Herkunft des Trampers verspricht schließlich ein interessantes Gespräch und irgendwie scheint man als Alien auch vertrauenswürdiger zu wirken als einheimische Tramper.

Abend- & Nachtfahrten

Prinzipiell ist es ab der Dämmerung sehr schwer ein Auto anzuhalten. Nachts sind deutlich weniger Autos unterwegs und der Tramper ist am Straßenrand nur noch schwer zu erkennen. Und selbst wenn er noch gut zu sehen ist – welcher geistig einigermaßen gesunde Mensch hält nachts im Dunkeln an, um einen Wildfremden mitzunehmen? Viele Truck- & LKW-Fahrer nehmen aber gerne Unterhaltung gegen aufkommende Müdigkeit mit durch die Nacht. Eine solche Mitfahrgelegenheit sollte man sich dann jedoch bereits vor Sonnenuntergang beschaffen.

Truckfahren

Die Aussicht aus einem riesigen Truckfenster ist traumhaft, wenn auch oft durch eine gerissene Windschutzscheibe getrübt. Die Elefanten der Straße bewegen sich meist nur mit 80 – 120km/h vorwärts. Trotzdem nehmen einen die Fahrer längere Strecken mit. Allerdings eignet sich das LKW-Trampen nur für Einzelpersonen, da im Gefährt nur ein Beifahrersitz vorhanden ist. Prinzipiell ist es zwar auch möglich zwei Mitfahrer aufzunehmen, von denen dann einer im hinteren Bereich der Kabine auf einer Liege schmoren muss, legal ist es aber nicht. Truckfahrer halten fast nie am Straßenrand an, da es viel zu aufwändig und gefährlich wäre, ihren schwer beladenen Truck auf dem Seitenstreifen zu parken. Deswegen sollten die Fahrer gezielt an einer Stojanka (Raststätte) oder im Café angesprochen werden. Orientieren Sie sich an den Gebietskennzahlen auf den Nummernschildern der Trucks! Auf jedem russischen KFZ-Kennzeichen ist in der oberen rechten Ecke eine zwei- oder dreistellige Nummernkombination zu finden, die Auskunft darüber gibt, aus welchem Gebiet das Fahrzeug stammt. Eine Liste dieser Nummern finden sie hier.

Allgemein betrachtet halten definitiv mehr alte und verrostete Karren mit älteren Herren am Lenkrad. Einzelnen Frauen ist es oft zu unheimlich, Fremde mitzunehmen. Neureiche Schönlinge in großen Luxuswagen sind sich meist zu toll für selbstlose Hilfe. Allerdings sollte man sich von solchen Vorurteilen nicht täuschen lassen. Nicht immer machen Autos Leute…

Übernachtung

Nicht überall in Russland trifft das Vorurteil der über die Straße laufenden Bären zu. In Sibirien jedoch könnte man tatsächlich das eine oder andere Mal auf einen Grizzly stoßen. Dementsprechend ist vom freien Zelten am Straßenrand oder im Wald dringend abzuraten. Stattdessen empfiehlt es sich, sich vor Reiseantritt bei www.couchsurfing.org zu registrieren und sich Ankerpunkte zu suchen – größere Städte, in denen man leicht eine private Übernachtungsmöglichkeit findet. Der Russe im Allgemeinen ist recht spontan und gastfreundlich, vor allem zu Ausländern. Selbst eine kurzfristig versandte Anfrage nach Übernachtung wird meist positiv beantwortet. Das Couchsurfen bietet einige großartige Vorteile: kostenlose Übernachtung meist mit Verpflegung und Stadtführung inklusive, Kontakt zu Einheimischen und Hilfestellung bei der Planung der nächsten Route. (Der Anlaufpunkt zum Lostrampen außerhalb der Stadt ist meist ohne kompetente Hilfe schwer zu finden!)
Sollte kurzfristig keine Couchsurfingübernachtung mehr aufzutreiben sein, beziehungsweise eine spontane Planänderung eine Sofortübernachtung erfordern, bietet es sich an, Truckfahrer an einer Stojanka oder im Café anzusprechen. Nette Fahrer bieten einem Hilfesuchenden Unterschlupf in der großen Kabine. Auch hierbei macht sich der Ausländerbonus bezahlt!

Umsteigen

Von Stopps irgendwo im Nirgendwo kurz hinter Vorderposemukkel ist dringend abzuraten! Lieber sollte man sich bis zur nächsten großen Stojanka bringen lassen, um einen weiteren Anlaufpunkt zum Ansprechen zu haben. Aus kleinen Dörfern ist schwer rauszukommen, da viele Fahrer meist nur bis in den nächsten Ort fahren. Sollte man sich doch in einem kleinen Dorf befinden, eher bis hinters Ortschild gehen oder fahren lassen, um den Abbiegern zur nächsten Siedlung aus dem Weg zu gehen, die zwar sehr freundlich in großer Zahl anhalten, aber dem Ferntramper kein Bisschen weiterhelfen.

Verhalten im Auto

Dass man sich in fremden Autos anständig und ordentlich verhält, versteht sich eigentlich von selbst. Dieser Aspekt ist beim Trampen allerdings besonders wichtig, weil man von der Person, die einen mitnimmt, und ihrem guten Willen sehr abhängig ist. Hat der Fahrer aus irgendeinem Grund die Nase voll von seinem Mitfahrer, kann er ihn ohne weiteres einfach rausschmeißen und auf die Straße setzten, auch mitten im Nirgendwo. Der Tramper hat dann das Nachsehen. Und noch einen Vorteil hat anständiges Benehmen. Hält man den Fahrer bei Laune, dann bringt er einen am Zielort vielleicht sogar bis vor die Haustür, nimmt sich noch Zeit für eine kleine Stadtrundfahrt oder lädt einen an der nächsten Raststätte zum Mittag ein. Also nicht einschlafen, laut schnarchen und hinterher mit dem kleinen Kekssnack das ganze Auto vollkrümeln! Stattdessen ist es ratsam ein Gespräch zu beginnen und die Atmosphäre ein wenig zu lockern. Man kann den Fahrer zum Beispiel in seine weiteren Reisepläne einweihen und ihn zur weiteren Strecke oder guten Lostrampstellen befragen.

Top 10 Tipps und Tricks fürs Trampen

  1. Russische Sprachkenntnisse unbedingt von Nöten!
  2. Immer eine gute Autokarte dabeihaben, in der auch Tankstellen, Raststätten und Polizeistationen verzeichnet sind.
  3. Entfernungen bis etwa 1000 km pro Tag sind realistisch, viel mehr allerdings nicht.
  4. Kennzeichennummer des Zielortes kennen, um gezielt bei Fahrern fragen zu können.
  5. Ortsnamenschilderschreiben sinnlos! Wenn man schon unbedingt ein Pappschild hochhalten möchte, dann sollte man die Kennzeichennummer des Zielortes darauf schreiben.
  6. LKW-Fahrer lassen sich gerne mal bequatschen und mit kleinen Souvenirs (deutscher Kaffee, ein kleines Fläschchen Alkohol…) überzeugen.
  7. Viele Truckfahrer wirken am Anfang sehr verknittert und unfreundlich. Reden hilft! Der erste Eindruck täuscht meistens. Auch wenn es keine Möglichkeit gibt, den Tramper mitzunehmen haben die Fahrer meistens trotzdem einen guten Ratschlag.
  8. Couchsurfing connecting people! Wer seinen erlebnisreichen Tag am Abend gerne mit einem guten Gespräch bei einer fremden Übernachtungsmöglichkeit abrunden will, sollte Couchsurfer werden.
  9. Wasserflasche und ein paar Energie-Schokoriegel immer in der Tasche haben.
  10. Immer einen Notgroschen einstecken haben. Wer weiß…Falls man einmal überhaupt nicht mehr weiterkommt, kann man den Bus nehmen oder auch Autofahrern etwas Geld anbieten.

„Trampmanns Heil“ für alle Abenteuerlustigen von der Baschkirienheute- Redaktion

Julia Hoppe, Tobias König, Juli 2010