Dass ich anders bin, als die meisten russischen Mädels, musste ich mir schon von vielen Einheimischen anhören. Aber inwiefern unterscheide ich mich als Deutsche von Ihnen!? Welche Unterschiede mir aufgefallen sind, möchte ich im folgenden mal ein wenig zu Papier bringen.

Eine junge Frau läuft eine Strasse entlang, in ihrer Hand eine grosse Reisetasche und zahlreiche Beutel. Es ist nicht zu übersehen, dass es der Frau ziemlich schwer fällt, das Gepäck zu tragen. Neben ihr läuft ein junger Mann, der beide Hände frei hat. Solch eine Szene würde man in Deutschland zwar auch nicht all zu oft finden, aber es kommt vor. Nicht jedoch in Russland. Das ist der erste grosse Unterschied, der mir unmittelbar bei meiner Ankunft sofort positiv aufgefallen ist. Aber: Frauen dürfen hier absolut nichts allein tragen. Und sei es eine noch so kleine Handtasche, auch diese wird dir, wenn du von einem Mann begleitet wirst, abgenommen. Okay, dass die Männer Rucksäcke und grosse Taschen abnehmen wollen, ist ja verständlich um das schwache Geschlecht ein wenig zu entlasten. Aber, als ich dann immer öfter gefragt wurde, ob man mir nicht meine Handtasche abnehmen könnte, war ich schon ein wenig erstaunt. Es ist natürlich ein vollkommen edler Zug mit der Absicht zu helfen, aber ich fühlte mich dabei unwohl. Und wie viele Gespräche habe ich schon darüber geführt – wie oft musste ich schon meine Tasche oder Beutel verteidigen!? …nicht nur ein- oder zweimal. Einige Männer fühlten sich verletzt oder beleidigt, einige reagierten nur mit Unverständnis und andere lachten darüber. Ja. Von einer Russin haben sie so etwas sicher noch nicht oft gehört, denn sie strecken jeden Beutel sofort den Männern entgegen. Und so kommt es dann vor, dass in einer Gruppe mit fünf Mädels und einem Jungen, dieser dann alle sechs Rucksäcke trägt. Natürlich lässt sich das jetzt nicht verallgemeinern, denn auch in Deutschland ist diese Rarität von Mann noch zu finden, und auch in Russland findet man Mädchen, die ihre Taschen lieber selbst tragen und Jungs, die sich nicht darum reißen, alles an sich zu nehmen. Aber prinzipiell geht die Tendenz schon in diese Richtung.

Aber warum ist das so!? Sicherlich liegen die Wurzeln schon in der Erziehung, aber der ursprüngliche Grund ist meiner Meinung nach in der Mentalität und Geschichte zu finden. Während die deutschen Frauen in keinster Weise von den Männern abhängig sein wollen, stützt sich das russische Frau-Mann-Verhältnis hauptsächlich darauf. Das spiegelt sich vor allem in den Familien wider. Während bei uns schon in fast allen Fällen gesagt wird, dass wenn beide Elternteile arbeiten, man sich den Haushalt teilt, so ist hier, egal welche Umstände vorliegen, prinzipiell die Frau, die auch fast immer ganztägig arbeitet, für Haushalt und Kinder verantwortlich. Und das lässt sich in Russland nicht gerade mit dem Wort „einfach“ beschreiben. Da auch schon das Frühstück aus einer richtigen warmen Mahlzeit besteht, fängt der Tag einer Frau hier zum Beispiel sehr früh damit an, das Frühstück (was meist eine Suppe oder ein Brei ist) vorzubereiten. Das traditionelle Rollenverhältnis ist noch in vollem Ausmaß vorhanden. Die Männer machen Feuer, bringen das Geld nach Hause, kümmern sich um alles mit Technik zu tun hat und machen die körperlich schwersten Dinge im Haushalt. Für den Rest, Kinder, Essen, Putzen, Wäsche…ist die Frau verantwortlich.

Aber, eine der Hauptanforderungen, die an die russischen Frauen gestellt werden, ist es, auch immer hübsch auszusehen. Und gerade für die jungen Frauen, die noch keine Familie haben, ist genau das das Wichtigste. Dafür tun sie alles erdenklich Mögliche. Sie geben Unmengen an Geld für Kosmetik und Bekleidung aus. Aber man muss auch sagen, dass das Resultat sehenswert ist. Nicht umsonst eilt ihnen der Ruf  ihrer Schönheit bereits voraus. Die Männer sind von den Frauen abhängig, da sie versorgt werden müssen und die Frauen von den Männern durch materielle Werte und körperliche Unterlegenheit. Und die russischen Männer tun alles für ihre Frauen. Zum Beispiel käme es überhaupt nicht in Frage, dass ein Mädchen oder eine Gruppe von Mädchen abends im Dunkeln, oder auch früh habe ich es schon erlebt, alleine nach Hause gehen. Das Nach-Hause-bringen ist vollkommen selbstverständlich, und sich dagegen zu wehren, ist so gut wie, unmöglich.

Bei uns in Deutschland ist diese Abhängigkeit und diese Art der Rollenverteilung in solch einem Masse nicht mehr vorzufinden. Durch die Emanzipation der Frau haben sich viele Dinge verändert. Wir Frauen weigern uns, die Männer zu bekochen und zu bemuttern – „Frauenarbeit“ zu machen, und deshalb können wir uns eigentlich auch nicht beschweren, dass unsere Männer uns nicht selbstverständlicherweise die „Männerarbeit“ abnehmen und uns wie „richtige“ Frauen behandeln. Und so sehr ich auch emanzipiert bin und in keinster Weise von einem Mann abhängig sein will, so war es doch sehr angenehm, wie man hier von den Männern behandelt wird. Vom Türe aufhalten, übers Abnehmen schwerer Sachen, Hilfe beim Aussteigen aus Bus oder Auto, nach Hause begleiten bis hin zu zahlreichen Komplimenten. Die Aufmerksamkeit und Höflichkeit der russischen Männer werde ich mit Sicherheit vermissen.

Katrin Hennig, 29. Juli 2006