Alle Plakate sind symmetrisch aufgehängt, an der Tür begrüßt ein mit bunten Buchstaben geschriebenes „Herzlich Willkommen“ die für den folgenden Tag erwarteten Gäste, der Plan steht. Dennoch findet Aleksandra Akulininas strenger Blick Schadstellen in dem aus Sowjetzeiten stammenden Sanatorium. In einer Wand ist ein Riss – der darf nicht zu sehen sein und wird kurzerhand mit einer selbst gemalten Sonne verdeckt. Auch Klebebandreste an den Wänden trüben den vermeintlich perfekten Gesamteindruck. Sie müssen entfernt werden. Aleksandra Akulinina führt Protokoll in ihrem Terminplaner, den sie stets unter dem Arm trägt.

Mesjagutovo

Sie arbeitet für das „Staatliche Komitee der Republik Baschkortostan für Jugendpolitik“ in Ufa. An diesem Donnerstagabend jedoch ist sie in den Duvanskij Rajon im Nordosten der Republik gekommen, um zu kontrollieren, ob ihre Kollegen ordentlich gearbeitet haben. Alles muss perfekt sein für das bevorstehende Seminar mit dem Namen „Zusammen – toll“, bei dem es um eine „gesunde Lebensweise“ gehen soll. Schließlich wird auch die stellvertretende Vorsitzende des Komitees stichprobenartig erscheinen. Zudem etwa 70 bis 100 Jugendliche und Erwachsene, die Neuigkeiten zu Themen wie Gesundheitsvorsorge, Drogenprävention und Hygiene hören wollen. Ein kleines Seminar also, wie Organisatorin Aljona Zacharkina bemerkt. „Im Sommer führen wir Lager mit mehr als 200 Kindern durch. Die gehen dann aber auch 20 Tage.“ Das Seminar dauert nur zwei Tage, der Aufwand scheint der gleiche zu sein: Begrüßungsmappen zusammenstellen, Uniform tragen, Kulturprogramm aufführen. Die Gäste sollen sich schließlich nicht langweilen. Für die meisten von ihnen stellt das Seminar aber sowieso eine willkommene Abwechslung dar.

Vor allem die Jugendlichen aus Mesjagutovo, dem Dorf, in dem das Seminar dieses Mal stattfindet, sind gerne gekommen. „Wir waren schon dreimal hier, obwohl es keine Pflicht ist für uns. Man lernt immer neue Leute kennen. Außerdem wollen wir erfahren, was es Neues gibt. Das geben wir dann unseren Mitschülern weiter“, erzählt die 16-jährige Lena.  Für die Veranstalter bedeuten die zwei Tage vor allem viel Arbeit. Für Emma Besel’ ist es bereits das sechste Seminar in diesem Jahr, jedes Mal in einem anderen Rajon der Republik. Sie ist Freiwillige und leitet diesmal eine Gruppe von etwa 15 Erwachsenen. Nahezu ehrenamtlich versteht sich. „Wir bekommen für die drei Tage, die wir insgesamt hier sind, 300 Rubel. Das ist nicht viel, aber ich mache es ja vor allem, weil es Spaß macht.“ Zudem sind es drei Tage, an denen die Informatikstudentin nicht zur Uni gehen muss und ernsthafte Arbeit sei die ganze Sache sowieso nicht.

Das Organisatorenteam des Seminars (2.v.r. Emma; 3.v.r. Aljona Zacharkina)

Aljona Zacharkina sieht das anders. Sie ist am „Zentrum für sozial-psychologische Hilfe“, einer Abteilung des Komitees, angestellt und nimmt diese Seminare sehr ernst: „Ich finde es sehr wichtig, dass wir solche Seminare durchführen, denn dadurch können wir Freiwillige gewinnen. Die Jugendlichen, die zu uns kommen, sind meist nicht wirklich aktiv. Wir geben ihnen aber die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu nutzen und zu helfen. Außerdem können sie hier Kontakte knüpfen und als Freiwillige durch die Republik fahren.“ Die 27-Jährige organisiert und leitet regelmäßig Veranstaltungen dieser Art und hat die Erfahrung gemacht, dass es Jugendlichen sehr gut tut, eine Aufgabe zu haben.

Eines der Plakate zum Thema ‚was bedeutet Gesundheit‘

Emma will ihre Arbeit nach dem Studium auf keinen Fall fortsetzen: „Es ist lustig, um Menschen zu treffen, aber ich nehme das Ganze hier nicht wirklich ernst. Und als Beruf kann ich mir das überhaupt nicht vorstellen.“ Ob sich an diesem Wochenende ein Nachfolger für die 18-Jährige gefunden hat, muss sich auf den kommenden Seminaren jedoch noch zeigen.

Elisabeth Lehmann, 04.11.06