Eines der aufregendsten Dinge am Jugendaustausch mit Ufa, stellten für mich die Zugfahrten quer durchs Land dar. Diese Zugreise trat ich mit ganz gemischten Gefühlen an, da ich noch nie über sechs Stunden am Stück in einem Zug verbrachte. Meine Erwartungen waren ungewiss und ich hatte ein wenig Angst aufgrund meines Sprachdefizits, das stellte sich aber als unnötig heraus dank der Fürsorge unserer russischen Freunde. Alles in allem freute ich mich sehr auf das Abenteuer. Wenn man bedenkt, dass die Zugfahrten ein wichtiger Bestandteil unseres Austausches waren. Ich meine bei etwa 82, von mir geschätzten Stunden, sind das ganze 3 Tage und 10 Stunden, die wir ausschließlich im Zug verbrachten. Unsere erste Reise führte uns vom Moskauer Flughafen, durch sämtliche U-Bahn.

Stationen der Stadt, bis zum roten Platz. Nachdem wir abends am Moskauer Bahnhof das richtige Abteil unseres Zuges gefunden hatten und die Passkontrolle der russischen Schaffnerin über uns ergehen lassen hatten, war es endlich soweit und wir durften die heiligen Hallen des Zuges betreten. Auch hier war Verlass auf die russischen Freunde, die uns ein Schlafabteil und ein Bett zuwiesen, sowie unsere Decken und Bettwäsche organisierten. Wenige Minuten später startete der Zug Richtung Ufa und wir begannen uns langsam für die nächsten 26 Stunden in ihm einzuleben. Der Zug bestand aus etwa 30 Wagen, in jeden passten ungefähr 60 Personen und zu jedem gehörten ein Warmwasserkocher, zwei Toiletten, sowie ein mehr oder minder offizielles Raucherstübchen. Wobei bei den russischen Toiletten eine Besonderheit nicht aus den Augen gelassen werden darf, denn „der Russe an sich, setzt sich nicht, sondern stellt sich auf die Brille“. Aber das sei hier nur am Rande erwähnt.

Auf die Liege gezogen hat es einen dann spätestens, als im Zug das Licht abgedunkelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt setzte auch die Müdigkeit ein und das Gefühl von den anderen Passagieren jedes Alters, beobachtet zu werden, wurde somit auch immer geringer.

Am nächsten morgen etwa zwölf Uhr nahmen wir die erste Mahlzeit ein: chinesische Tütensuppe, geschnittene Tomaten, Gurken, Käse, Wurst, Brot und Tee. Die folgenden Mahlzeiten sollten sich nicht weiter von diesen unterscheiden, bis auf eine kleine Besonderheit, die die Russen während einer der längeren Pausen auf dem Bahnsteig erstanden. Neben Eis, Fisch, Brot und Zeitungen boten die dortigen verkaufstüchtigen Frauen auch 2,0 Liter PET- Flaschen Bier an. Im Zug beschäftigen wir uns überwiegend mit Lesen, Kartenspielen, Musizieren und Wodka trinken, natürlich nur traditionell aus einem Becher für alle.

Noch eine kleine, aber für eine Russlandreise sehr wichtige Bemerkung am Ende, wenn alle Russen im Zug auf einmal panisch ihr Bettzeug und alles andere zusammenräumen und es heißt ?wir sind gleich da?, dann habt ihr noch mehr als genügend Zeit euer Zeug zu packen. Denn nach russischer Zeitrechnung ist ?gleich? etwa ein Zeitraum von zwei Stunden. Wenn es dann aber doch soweit ist, wird man in Ufa mit ganz viel Sekt und einer riesigen Portion Gastfreundschaft empfangen. Nach 3 Wochen bei der Familie in Ufa heißt es leider Abschied nehmen und sich für die zweite Zugreise von Ufa zurück nach Moskau wappnen. Von Moskau aus geht die letzte Reise nach St.Petersburg, diese ist aber mit etwa 15 Stunden eher ein Katzensprung.

Romy Reichert, November 2006