Nachdem ich in der Maiausgabe von Baschkirien heute den Beitrag von Frau Dr. Verena Barth gelesen habe, war ich doch etwas stark irritiert, ob der mir wenig verständlichen Sichtweise.
Vorwegschicken möchte ich, dass ich als Geographin tätig bin, die seit 40 Jahren an einer Universität in der Wirtschaftsgeographie lehrt, wozu auch Fragen der Tourismusgeographie gehören. Zu meinen Spezialisierungen gehört die Geographie Russlands. Ich arbeite seit 40 Jahren mit Hochschulgeographen in Ufa zusammen und reise seit 1977 regelmäßig nach Baschkortostan. Trotzdem bin ich nicht so mutig, mich als Tourismusspezialistin zu bezeichnen.

Bezug nehmend auf den erwähnten Beitrag: Eine Reise nach Baschkortostan für eine Touristengruppe zu organisieren ist verlockend und kann mit den richtigen Erwartungen und kompetenten Partnern vor Ort sicherlich erfolgreicher sein als dargestellt. Wenn man das Erwartungsbild entwickelt, sollte man aber wissen, welche Voraussetzungen diese Republik für internationalen Tourismus hat. Kluger Weise stellt man sich darauf dann ebenso ein, wie auf landestypische Regeln (z. B. Hygienekontrollen in Schwimmbädern) oder Verhaltensweisen (Verwunderung über frei buchende Ausländer ohne einheimisches Netzwerk) und nimmt letztere kommentarlos hin.

Das Gebiet der Republik Baschkortostan besticht vor allem mit seiner sagenhaften naturräumlichen Ausstattung, mit den leidenschaftlich gepflegten kulturellen Traditionen der dort lebenden Nationalitäten, der Gastfreundlichkeit seiner Menschen. Das allein ist wert, als Ausländer dieses Gebiet kennen zu lernen. Allerdings sollte man nicht mit der Mentalität von Liebhabern des Pauschaltourismus anreisen. Dann ist man hier falsch.
Das Land verfügt bisher nicht über eine den westlichen Klischees entsprechende touristische Infrastruktur. Internationaler Tourismus ist auch kein Wirtschaftsschwerpunkt in Baschkortostan. Schon aus diesem Grunde sollten wir die Frage wirklich nicht stellen, was verbesserungswürdig ist, um Baschkortostan zu einer „vollwertigen internationalen Tourismusregion“ zu entwickeln, wenn die Menschen vor Ort andere Vorstellungen oder andere Erfahrungen haben. Man kann auch mit Individualtourismus leben und ihn nach Landesmaßstab erfolgreich organisieren. Aber dann sollte man es mit kompetenten einheimischen Reiseorganisatoren tun, die durchaus geeignete Objekte finden, Routen organisieren und Reservierungen vornehmen können.

Vielleicht hilft es auch, so manche der beschriebenen Erfahrungen zu verstehen, wenn man weiß, dass Baschkortostan aus der Sowjetzeit keine touristische Tradition für Ausländer besitzt. Man kam nur als Dienstreisender nach Ufa und in einige wenige andere Städte. Viele Gebiete, vor allem im Ural, waren für Ausländer gesperrt.
In Baschkortostan gibt es 21 Städte, darunter 1 Millionenstadt und 3 weitere Großstädte. Die Städte in Baschkortostan sind wesentlich jünger als die Städte in Mittel- und Westeuropa. Die ortsübliche Bebauung waren Holzhäuser, die zu einem großen Teil entweder modernen Wohngebieten weichen mussten oder auch verfallen sind.
Von den wenigen Großstädten sind nur Ufa und Sterlitamak älter als 200 Jahre und haben für Touristen interessante Archtitekturelemente. Die meisten Städte stammen aus dem 20. Jahrhundert, sind als so genannte sozialistische Städte für ausländische Touristen weniger interessant. Somit ist Städtetourismus bisher zum Beispiel kein Thema und eine Stadtinformation rechnet sich selbst in Ufa für die wenigen Touristen bisher nicht.

Persönlich sehe ich übrigens die touristischen Möglichkeiten, die die natürliche Ausstattung Baschkortostans für sanften Tourismus bietet als die einzig wirklich interessante und zukunftsträchtige Variante für möglichen internationalen Tourismus an. Und dabei ist „all inclusive“ nicht unbedingt erstrebenswert.

Dr. Georgia Kroll
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der MLU Halle Wittenberg
August 2010