Es war bereits dunkel als mein Arbeitskollege Sergej und ich uns auf den Weg zu einem Atelier einer baschkirischen Künstlerin namens Leysan Rakhmatullina machten. Im russischen Dramatischen Theater in Ufa hatten wir die Chance, außer einem tollen Theaterstück auch sie und ihre Bilder kennen zu lernen. Dort ließen wir uns ihre Nummer geben, machten später einen Termin aus und begaben uns schließlich auf eine Fahrt die uns ewig erschien, was höchstwahrscheinlich auch daher rührte, dass wir beide keine Ahnung hatten, wohin wir fahren, wann wir aussteigen sollen und was uns erwartet. Letztendlich kamen wir dann aber nach einigem Nachfragen doch an, und zwar in einem Gebiet, das uns wie eine Riesen-Schlafstätte vorkam, denn es waren weit und breit ausschließlich Hochhäuser zu sehen. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt bzw. bestätigt als wir von Leysan abgeholt wurden und in den 13. Stock eines Hochhauses geführt wurden. Der Ausblick war einfach gigantisch, egal wo man hinschaute, Hochhäuser so weit das Auge reicht, ein riesiges Lichtermeer. Ich hätte nie erwartet, dass mich eine Hochhaussiedlung einmal so beeindrucken würde, denn bis jetzt waren diese Bienenstöcke für mich immer hässliche Gebäude, die die Gegend verschandeln. Und genau in dieser Gegend, genauer gesagt, in der Techniketage, welche die meisten Hochhäuser Russlands besitzen um die Wärmezirkulation in den Häusern zu regulieren, hatte Leysan ihr Atelier. Aber wie wir erfuhren nicht freiwillig, denn es befand sich einst in der Innenstadt Ufas. Vor zwei Jahren zu den Präsidentenwahlen wurde der Raum benötigt und da konnte natürlich keine Rücksicht auf Künstler genommen werden. So musste Leysan ihre Kunst sogar zeitweise in einer Garage unterstellen, bis ein neuer Raum für sie gefunden wurde.

Bei Tee und leckerem Gebäck fingen wir dann in gemütlicher Atmosphäre an mit Leysan Rakhmatullina zu plauschen. Sie wurde 1964 in Akkuzevo in Baschkortostan geboren, besuchte von 1981-1986 die Kunstakademie und ist seitdem freiberufliche Künstlerin, was genauso wie in Deutschland auch hier in Russland nicht einfach zu sein scheint. Allein von Kunst zu überleben stellt für mich ein Unterfangen dar, was nur sehr wenigen gelingen kann, da es äußerst schwierig ist, den Geschmack der Menge zu treffen, ohne die eigene Individualität zu verlieren. Deshalb kann ich nur sagen, dass ich ziemlichen Respekt vor Künstlern habe, die für ihre Kunst leben, denn das sind für mich auch Überlebens-Künstler. Leysan hat ihre Aquarellkunst, die hier in Russland etwas ziemlich besonderes zu sein scheint, bereits 14-mal ausgestellt, darunter außer in Ufa und Baschkortostan, dreimal in Moskau jeweils im zentralen Haus der Künstler. Wie für viele Künstler ist auch für Leysan ihre Kunst ein Mittel, um vor allem persönliche Erlebnisse fest zu halten, Erlebnisse, die sie prägten, Situationen, die sich in ihrem Kopf festsetzten, entscheidende, oder einfach nur schöne Momente, die sie zum einen verarbeiten, zum anderen aber der Welt zugänglich machen und sie daran teilhaben lassen möchte. So gibt es zu jedem ihrer Bilder eine kleine interessante Geschichte.

Ein Bild und dessen Geschichte beeindruckten mich besonders. Es heißt „Porträt der Traurigkeit“ und ist das Porträt einer Freundin Leysans, einer wunderschönen Baschkirin, die aufgrund ihrer Schönheit aus der Menge herausstach. Ihr Mann ist Soldat und aufgrund der Sorge um ihren Mann fielen ihr auf nervlicher Basis all ihre Haare aus. Diese traurige Tatsache war der Anlass für dieses wunderschöne Bild. Meiner Meinung nach spiegelt das Porträt, durch die Art der Gestaltung, die Wasserfarben und die Farbwahl, diese Situation perfekt wieder, denn es strahlt sowohl die Traurigkeit und Schwermut, sowie die Schönheit und Anmut der Baschkirin aus.

Ein anderes Bild ist einem Keramikerpaar gewidmet, dessen Kunst ihr sehr gefiel. Es heißt „Vereint sein“. Es ist ein Tisch abgebildet, auf dem eine aus zwei Teilen bestehende Vase steht. Der eine Teil der Vase, grün wie das Gras auf der Wiese gehalten, soll den Mann symbolisieren, der bodenständig ist, während der blaue Teil die Frau symbolisiert, die verspielt ist und hoch hinaus in den Himmel will. Diese beiden unterschiedlichen Elemente, Himmel und Erde, sind vereint durch ein gelbes Ei.

Das Bild lässt jedoch, wenn man die Geschichte dazu nicht kennt sehr viel Spielraum für Interpretationsmöglichkeiten, so sah einer unserer Bekannten die baschkirische Flagge in dem Bild, da es genau dieselben Farben sind. Aber genau das ist es auch, was Leysan möchte, dass jeder ihre Bilder auf eine andere Art und Weise interpretiert und versteht.

Obwohl in ihren Bildern viele nationale Elemente zu entdecken sind, sieht sich Leysan nicht als nationale, sondern europäische Künstlerin. Es ist natürlich nicht zu verleugnen, dass sie, und somit auch ihre Kunst von ihrer Umgebung beeinflusst wird. So findet man in ihren Bildern z.B. viele Landschaften Baschkortostans, die für Baschkortostan typische Blume Kurai, oder auch den Baikalsee in Sibirien.Für nationale Kunst ist vorrangig wichtig die Region zu präsentieren, während die Kunst an sich meist vernachlässigt wird. Natürlich, so sagt Leysan, gibt es auch Künstler, die es schaffen, nationaler Künstler zu sein und damit die Region zu vertreten. Sie sind aber nicht nur aufgrund dessen, sondern auch für Kunst an sich bekannt.

Leysan ist nicht so stark an Baschkortostan gebunden, dass sie sich nicht vorstellen könnte auch woanders zu leben. Sie mag ihr Land und spiegelt auch gern die Natur oder andere Eindrücke wieder. Aber all diese Landschaften und Szenerien könnten genauso woanders entstanden sein. Es ist die Sache eines jeden einzelnen, was er in ihrer Kunst sieht, und meiner Meinung nach lassen ihre Bilder sehr viel Spielraum für Interpretationen und regen somit die Phantasie und Kreativität an. Vielleicht ist die Kunst nicht für jeden leicht zugänglich und verständlich, aber Leysan ist überzeugt, dass ihre Kunst „unerreichbar und unkopierbar ist“, und auch in Moskau wurde über ihre Kunst gesagt, dass sie einzigartig sei. Auch eine tschechische Delegation, die ihre Kunst in Ufa besichtigte, sagte das gleiche.

Ich muss sagen, dass mir ihre Kunst gefällt, dass sie durchdacht ist und es bei mir geschafft hat Emotionen auszulösen, jedoch würde ich nicht so weit gehen, zu sagen, dass die Art ihrer Kunst einzigartig ist, denn es gibt nicht wenige Künstler, die auch Aquarellkunst malen. Natürlich ist jedes Bild ein Unikat, weshalb auch der Preis ab 500$ gerechtfertigt ist, aber ich habe schon viele Bilder verschiedener Künstler gesehen, die von der Art her ähnlich sind. Aber auch, wenn man keine neue Stilrichtung erfinden kann, ist es doch nicht einfach sich in der Menge der Künstler einen Namen zu machen, und ich denke, das ist Leysan Rakhmatullina bereits über die Grenzen von Ufa hinaus gelungen. Und dazu muss man sagen, dass die Art von Kunst mit Wasserfarben zu malen in Baschkortostan in der Tat nicht weit verbreitet zu sein scheint, weshalb es wahrscheinlich für die Baschkirin nicht immer leicht ist und war ihre Kunst zu verteidigen. Aber sie hat sich ungeachtet dessen schon einen großen Bekanntenkreis aufgebaut und bereits verschiedene Preise gewonnen, so z.B. den „Shaikhzada Babich Jugendpreis der Republik Baschkortostans“. Die Frage, ob sie denn auch schon andere Stile gemalt hat bzw. müde sei immer mit Wasserfarben zu malen, verneinte sie, denn für sie ist Aquarellkunst „das einzig Wahre“

Einer ihrer großen Wünsche ist es einmal in Japan oder generell in Europa auszustellen. Diesem Traum kommt sie wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder ein Stück näher, denn sie hat vor, ihre Kunst auf dem Stadtjubiläum von Halle auszustellen. Und jeder, der die Chance hat und in der Nähe ist, sollte sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen, sich ein Bild von Leysan Rakhmatullina und ihrer Aquarellkunst zu machen.

Wer bis dahin nicht warten kann bzw. Fragen an sie hat, kann sie unter der E-Mailadresse aquarell@ufacom.ru erreichen

Katrin Hennig, Sergey Simonov