…hmm…so großartig hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht, aber als es dann so weit war und ich für eine Woche in eines fahren sollte, dachte ich schon ein wenig über die Worte meiner lieben Verwandten nach, die mir die gruseligsten Geschichten erzählt hatten. Und auch hier in Russland habe ich schon sehr oft gehört, dass der Unterschied des Lebens auf dem Land und in der Stadt immens sei. Nichtsdestotrotz, oder gerade aufgrund dessen, machte ich mich auf den 12 Stunden langen Weg zu meiner Freundin und ihrer Familie, denn Neugier liegt in der Natur des Menschen, und ich freute mich auch darauf dem Großstadtlärm Ufas zu entfliehen und ein wenig vom schönen Baschkortostan und seiner Landschaft kennen zu lernen. Durch wunderschöne, weitläufige Steppenlandschaft brachte der Zug uns nach Sibai, eine Stadt im Süden Baschkortostans. Von dort aus fuhren wir mit dem Auto noch eine Stunde und erreichten dann das kleine malerisch gelegene Dorf , welches wie fast alle Dörfer Russlands aus nicht viel mehr als ein paar Schotterstraßen, vielen kleinen Holzhäusern, einem Marktplatz, ein paar wenigen Lebensmittelgeschäften, einer Schule und einer Moschee besteht. Als sich die erste Aufregung bei unserer Ankunft erst einmal gelegt hatte, bemerkte ich, dass mein Handy nicht so funktioniert, wie ich das wollte, denn leider hatte ich in kein Netz. Gewöhnt an das ständige Erreichbarsein und um meinen Mitteilungsdrang zu befriedigen, machte ich mich natürlich erst einmal auf Netzsuche, welche ich aber nach einiger Zeit aufgab, da es ergebnislos war. Ich musste mich also mit der Tatsache abfinden eine Woche, weit ab aller Zivilisation, ohne mein geliebtes Handy auszukommen. Von diesem Schock erholte ich mich schneller als gedacht und fing an mich auf die Schönheit der Natur zu konzentrieren und mich vollkommen zu entspannen. Das Dorf war genau so, wie ich Dörfer aus russischen Filmen kannte. Viele kleine Holzhäuschen, ein kleiner zugefrorener Fluss, Pferdeschlitten, Babuschkas mit Kopftüchern, Kühe, Hunde, Katzen, mit Reif überzogene Bäume…. es war einfach wunderschön, die Kristalle des Eises glitzerten bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein wie Diamanten.

Innerhalb dieser Zeit konnten wir sehr viele Dinge kennen lernen, von denen wir teilweise schon gehört hatten, aber auch viele andere Dinge und Unterschiede vielen uns auf. Das für uns Deutsche, die an Komfort und Luxus gewöhnt sind, Ungewöhnlichste ist wahrscheinlich die Toilette außerhalb des Hauses. Und auch ich muss sagen, dass es anfangs für mich sehr, sehr ungewöhnlich war und nicht wenig an Überwindungskraft kostete abends, aus der schönen warmen Stube hinaus in die bis zu -35°C kalte Winterluft, in ein kleines Holzhäuschen mit Plumpsklo zu wanken, um meine Notdurft zu erledigen.

Ein weiterer sehr großer Unterschied, der mich persönlich sehr zum Nachdenken angeregt hatte und in der unterschiedlichen Mentalität begründet liegt, ist die Gastfreundschaft. Ich sah allein die Einladung unserer Freundin schon als einen sehr großen Schritt, denn für eine russische Durchschnittsfamilie ist es bestimmt nicht leicht, außer der Familie auch noch zwei Gäste eine Woche durchzufüttern. Und das ist nicht übertrieben, wir wurden regelrecht gemästet und befürchteten schon, das wir am Ende geschlachtet werden sollen. 😉 Es gab Unmengen von Essen, und zwar sehr leckerem Essen, was die Sache zu widerstehen und abzulehnen nicht gerade einfach oder, besser gesagt, eigentlich unmöglich machte. Ja…und so aßen wir eben. Und aßen…und aßen. Es war wirklich köstlich und toll so viele verschiedene baschkirische Nationalgerichte kennen zu lernen. Auch durften wir im Haushalt keinen Handgriff tun, oder wenn wir es mal geschafft haben uns an das Waschbecken, es gab übrigens, wenn überhaupt, nur kaltes Wasser, vorzukämpfen, dann durften wir nur unter sehr großem Protest abwaschen. Wir sollten uns erholen und es wurde alles für uns getan, um uns den Aufenthalt so erholsam und schön wie möglich zu machen.

Sehr ungewöhnlich für uns war, dass uns bei jedem Gang aus der Tür gesagt wurde, was bzw. wieviel wir anziehen sollen. Wollten wir z.B. nur einmal einen Gang auf die Toilette machen, mussten wir uns anziehen, als würden wir auf eine Polarexpedition aufbrechen. Und dann auf der Toilette mussten wir natürlich alles wieder ausziehen und danach wieder anziehen. Das war schon ein wenig umständlich. Und wenn wir einmal mitgezählt hätten, wie oft uns gesagt wurde, dass wir doch eine Mütze oder etwas auf den Kopf setzen sollen, so wären wir sicherlich auf eine beachtliche Anzahl gekommen. Über diese Tatsache haben wir uns ein wenig gewundert und lange darüber nachgedacht, und wir haben auch unsere Freundin darauf angesprochen und mit ihr darüber geredet. In Deutschland würde meiner Meinung nach keiner, zwei 19 und 22 Jahre alten Mädchen sagen, dass sie doch bitte ihre Mütze aufsetzen sollen, weil es kalt draußen ist. Und wir haben uns auch gefragt, ob uns nicht zugetraut wurde, dass wir uns allein anziehen können. Aber natürlich sind wir hier in Russland, was nicht mit Deutschland vergleichbar ist. Und sicherlich wissen auch Russen besser Bescheid, wie man sich hier kleidet. Aber es war schon ein wenig anstrengend und ungewöhnlich, da wir es als Deutsche einfach nicht gewöhnt sind, dass sich jemand so lieb um uns kümmert und sich Sorgen macht. In Deutschland lebt man leider meist, oder oft, nach dem Motto, jeder ist sich selbst am nächsten und hier in Russland wird 40-jährigen Frauen, die also bereits seit 40 Jahren hier leben, noch gesagt, dass sie eine Mütze aufsetzen sollen, und das ist einfach normal. Ich glaube, daran, dass es einfach nur lieb gemeint und ganz normal ist, muss ich mich noch ein wenig gewöhnen.

Alles in allem war es eine tolle Erfahrung mit kaltem Wasser, Banja, Toilette auf der Straße, wunderbarem Essen, super netten Menschen und umgeben von Tieren eine Woche in einer baschkirischen Familie in einem wunderschönem, idyllischem Dorf zu wohnen. Das alles hätten wir vielleicht nie kennen gelernt und deshalb hiermit noch einmal ein RIESENGROSSES DANKESCHÖN an unsere Freundin und ihre Familie.

Katrin Hennig, Sergey Simonov, 14.01.2006