Hier ist er, unser erster Morgen in Deutschland: Die Sonne schickt sanfte Strahlen auf die Dächer der Häuser, die Stadt erwacht aus dem Schlaf und uns weckt der Duft frisch gekochten Kaffees. Heute sollen wir früh aufstehen, zum Treffen auf dem Marktplatz und von dort aus ins Grüne, ins Wunderland der Weinberge – nach Rollsdorf, eilen.

Der Kaffee ist ausgetrunken, die Schlafsäcke in die Rucksäcke gepackt. Nach dem „Tschüss“ zu unseren Mitbewohnern gehen wir durch die gemütlichen Straßen von Halle zum traditionellen Treffpunkt aller Gäste und Einwohner der Stadt, wir gehen zum Händel-Denkmal. Wir treffen uns mit unserer Gruppe, tauschen kurz unsere Eindrücke und machen uns ohne jegliche Verzögerung auf den Weg zur Bushaltestelle.

Nun rasen am Fenster des Busses Landhäuser mit gepflegten Gärtchen, mit Weizenfeldern bedeckte Hügel, Windräder und natürlich Weinberge vorbei. Wie schön sie sind; ich habe schon seit drei Jahren keine Weinberge mehr gesehen… Beim Anblick dieser Landschaften merkt man gar nicht, wie die halbe Stunde Fahrt vergangen ist und sich die Türen für einen öffnen. Man gelangt in ein absolut unbekanntes Gebiet, man hat keine Orientierungspunkte, man weiß auch nicht, wohin man gehen und was man machen soll. So sucht man, wie ein kleines Kind, mit den Augen die deutschen Freunde. Wir gehen durch eine kleine Allee zu einer großen Wiese am Ufer eines Sees. Hier bauen wir unser Zeltlager für dieses Wochenende auf.

Endlich sind die Aufbauarbeiten zu Ende, und alle planschen im warmen und meiner Meinung nach – besser gesagt, meinem Geschmack nach – ein bisschen salzigen Wasser. Der erste Schock über einen echten FKK-Menschen, mehr ausgeprägt beim weiblichen Teil der russischen Gruppe, vergeht schnell. Dann kommt ein bedächtiges Gespräch im Schatten der Bäume in der englisch-deutsch-russischen „Mundart“, die wahrscheinlich nur für die Austauschteilnehmer typisch ist. Es stellte sich dabei heraus, dass alle schon leichten Hunger haben. Gott sei dank, ist Maren schon hier. (Anm. d. Red. Sie hatte für alle eingekauft.) Wir machen ein Grillfeuer und decken den Tisch. Die Würstchen sind knusprig braun, das Bier geöffnet – Herzlich Willkommen zum Abendessen im Zeltlager…

An diesem Sonntag quält uns alle nur eine Frage – Wer gewinnt im Finale der Fußball-WM. Ohne lange nachzudenken, entschließen wir uns in das nächstliegende Dorf zu gehen und dort eine Sportbar zu suchen. Glücklicherweise haben wir noch Zeit. Lange bummeln wir durch das Dorf… Wer hätte gedacht, dass es in deutschen Dörfern solch ein großes Problem mit den Fernsehern gibt!

Aber eigentlich sind wir doch nicht so enttäuscht. Im Dorf wird ein komisches Fest veranstaltet, und die ganze Zeit bewegt sich eine große Menschenmenge irgendwo hin, amüsiert sich, isst Würstchen und trinkt Bier. Kurz: Sie sind entspannt und feiern ein wenig, aber wir bleiben auch nicht zurück… Am Ende gewinnt Italien, und ich bade im Süßen See, schaue mir das Feuerwerk an und denke: „Wie gut ich mich jetzt hier fühle!“

Der neue Tag kündigt sich mit unerträglicher Schwüle im Zelt und dem wiederholten Schrei „Pascha, Pascha, wo bist du?“ an. Das wunderschöne Wetter und das nicht weniger schöne Frühstück im Hof von René geben uns Energie für den ganzen Tag. Nun werden Steine geschleppt und Erde geschippt. Ein kleiner Arbeitseinsatz „bewahrt“ uns vor der Möglichkeit, sich ganz zu entspannen und zu tief in die Glückseligkeit zu tauchen. Die Arbeit ist zu Ende, und alle gehen in den See bekleidet baden. So wird man selbst sauber, und die Kleidung auch gleich mit…

Ein bisschen später gehen wir auf einen interessanten Rundgang auf den Weinberg. Ein warmer Empfang darauf, Eimer voll Süßkirschen und ein paar Gläser Wein fordern mich wiederum auf, zu sagen: „Das Leben ist schön, und es ist schön zu leben!“. Auf dem Hügel umweht uns der warme Wind. Es scheint als könne man die Wolken mit der Hand erreichen, und der See liegt auf der Hand…

Eine leckere Nachspeise unseres Wochenendes am Seeufer war der Abend im Hof des gastfreundlichen René. Eine Rotweinverkostung, lockere Atmosphäre, Blumenaroma, Kerzenflammen – all das zauberte ein Lächeln auf unsere Gesichter. In den Gesprächen wurden Sekunden zu Minuten, Minuten zu Stunden. Ich schaute mich um, sah leuchtende Augen, atmete tief ein und wußte, dass das Glück irgendwo ganz nah bei uns ist. Das Glück roch nach Sommer und Wein …

Artur Gajssin, August 2006