Eigentlich ist das Zugfahren ja nur ein Mittel zum Zweck, um an sein Ziel zu kommen. Aber wer erst einmal in Russland Zug gefahren ist, sieht die Sache ganz anders. Denn Zug fahren ist hier nicht einfach nur Zug fahren, sondern gleicht viel mehr einem Abenteuer. Aber erst einmal zu den grundlegenden Dingen. In Russland unterscheidet man zwischen Schnellzügen, die schneller sind als Passagierzüge, Geschäftszügen, die recht schnell und komfortabel sind, und Passagierzügen, die überall halten. Die Abfahrts- und Ankunftszeiten richten sich in ganz Russland stets nach Moskauer Zeit. Fahrkarten kann man für vier Kategorien kaufen, für Sitzplatz im Grossraumabteil, Platzkarte im Grossraumliegewagen, Coupé (Abteil mit 4 Liegen) und CB (Abteil mit zwei Liegen). Ich bin bereits in allen Kategorien ausser CB, d.h. in einem Abteil mit zwei Liegen gefahren. Für welche Kategorie man sich aber entscheidet, hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen von der finanziellen Lage, denn es ist ja für jeden nachvollziehbar, dass ein Ticket für einen Sitzplatz im Grossraum um einiges billiger ist als ein Liegeplatz in einem Zweierabteil. Ich habe für eine Fahrt von St. Petersburg nach Ufa, 1600km in 50h, im Coupé 78 Euro und im Grossraumliegewagen nur 30 Euro bezahlt. Ein weiterer Faktor ist die Dauer und Tageszeit der Reise. Reist man beispielsweise nur eine Tageshälfte und will nicht unbedingt schlafen, so reicht ein Sitzplatz vollkommen aus. Natürlich spielt auch das Alter eine Rolle, denn in einem Grossraumabteil hat man eigentlich kaum seine Ruhe, während Zweier- und Dreierabteile abschliessbar sind und dementsprechend auch mehr Komfort und Sicherheit bieten. Ich habe schon viele unterschiedliche Strecken in Zeiten von 8-50 Stunden zurückgelegt und demnach schon einige Erfahrungen sammeln können. Und zum Thema Sicherheit kann ich sagen, dass ich mich stets sehr sicher gefühlt habe. Wahrscheinlich oft sicherer, als gut ist, denn wenn meine Handtasche mal neben mir auf dem Sitz stand, wurde ich sogar vom Zugpersonal persönlich aufgefordert sie an mich zu nehmen. Aber ich habe sogar schon in der untersten Kategorie mit meinem Rucksack zu meinen Füssen geschlafen und danach nichts vermisst. Ich möchte jetzt niemanden auffordern leichtsinnig zu sein, aber die Angst vor Diebstählen oder Kriminalität in russischen Zügen sollte kein Grund sein, nicht mit dem Zug zu reisen, denn sie ist meinen Erfahrungen nach unbegründet. Während CB und Coupé abschliessbar sind, ist in den Grossraumabteilen die gegenseitige Kontrolle sehr gross und nach 50 km kennt man auch alle Leute aus seinem Wagon und weiss wo ihr Platz ist.

Wenn die Züge, einer Sauna oder einem Tiefkühler gleichen, sehr eng sind, es auf den oberen Betten unmöglich ist zu sitzen, und wenn am Abend ohne Vorwarnung oder erkennbares System plötzlich das Licht ausgeht, kann man sich ziemlich sicher sein, dass man sich in einem russischem Zug befindet.

Die Toiletten werden vor jeder grösseren Stadt, in Naturschutzgebieten und an Grenzen abgeschlossen. Aber sie ist auch, wie fast überall in Russland, ein Ort an dem man sich freiwillig nicht länger als unbedingt nötig aufhalten will. Die Zeiten, in denen die Toilette geschlossen ist, hängen meist an den Toilettentüren aus. In Zügen, die länger als 3 Tage fahren gibt es Duschen für deren Benutzung manchmal gezahlt werden muss.

Darüber, dass man verhungern oder verdursten könnte braucht man sich auch keine Gedanken zu machen, denn man kann sowohl Essen als auch Trinken beim Zugpersonal kaufen. In jedem Abteil gibt es einen Wasserboiler, der kostenlos und rund um die Uhr heisses Wasser liefert.
In manchen Zügen kann man sogar in aller Ruhe noch die letzten Mitbringsel oder Andenken kaufen, denn es kommen Händler durch die Abteile, die von Bettwäsche, Spielzeug bis zu bemaltem Holzgeschirr verschiedene Dinge verkaufen.

Auch an den grösseren Bahnhöfen kann man einkaufen; an den Bahnsteigen stehen meist Omas die Fische oder Dinge aus ihrem Garten verkaufen.

Aber das tollste ist eigentlich, dass man soviele Leute kennenlernt. Ich bin allein und mit schlechten Russischkenntnissen Zug gefahren und habe eine Einladung zu einer Frau in ihr Dorf und eine in eine Glasfabrik bekommen. Ich wurde, da ich ein wenig kränkelte verarztet, es wurde aufgepasst, dass ich immer genügend esse und natürlich habe ich mit Hilfe von Händen und Füssen Russischnachhilfe bekommen. Auch ein Freund von mir, der mich besuchen kam, war begeistert vom Zugfahren in Russland. Er kann kein Wort russisch, so dass es für ihn allein fast unmöglich war z.B. die Zollerklärung oder Registrierungskarte, die praktischerweise nur in russischer Sprache geschrieben ist, auszufüllen. Aber zum Glück findet man überall in Russland nette Menschen, die einem helfen und so war dieses Problem leicht lösbar. Und als er dann auch noch von Russen zum Essen und Wodkatrinken eingeladen wurde, fühlte er sich gleich vollkommen wohl und willkommen in Russland.

Das Zugfahren ist also, wenn man Zeit hat, abenteuerlustig und flexibel ist, eine sehr empfehlenswerte und billige Variante Land und Leute Russlands kennenzulernen.

Katrin Hennig, April 2006